sehepunkte 24 (2024), Nr. 9

Antonio Lopez Garcia: Running Rome and its Empire

In den vergangenen Dezennien waren das Stadtbild und der öffentliche Raum in den Zentren des Imperium Romanum von der republikanischen Zeit bis in die Spätantike wiederholt Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Im Vordergrund standen dabei die exponierte Lage, die repräsentative Architektur von Plätzen, Sakral- und Profanbauten sowie deren Wirkung auf die dort Verweilenden. Ebenso galt die Aufmerksamkeit den dort aufgestellten Monumenten. Das Augenmerk lag unter anderem auf den statuarischen Programmen, den sich in ihnen und den zugehörigen Inschriften spiegelnden Intentionen der Auftraggeber und der Wahrnahme durch den Betrachter. Die einschlägige Literatur lässt sich mittlerweile kaum noch überblicken. Des Weiteren wurden in der Vergangenheit Prozessionen im urbanen Raum ausführlich untersucht, angefangen vom Weg, den die Triumphzüge in Rom nahmen, über die Stationen von Trauerzügen für um die res publica verdiente Persönlichkeiten bis hin zu Ankunft und Empfang des römischen Statthalters oder des Herrschers in einer Stadt.

Literarische und archäologische Zeugnisse belegen, dass Menschen den öffentlichen Raum in vielfältiger Weise nutzten. Man ging auf Straßen und Plätze, sah und traf andere, erledigte Geschäfte. Dabei ging es nicht nur um Privates, man konnte Kontakt zu Amtsträgern, selbst dem Herrscher, aufnehmen und Anliegen vortragen. Der öffentliche Raum diente somit teilweise als 'Sprechzimmer'. Zudem bezeugen die Quellen, an welchen Orten innerhalb eines urbanen Zentrums Amtshandlungen, Versammlungen, kurzum Interaktionen zwischen Bevölkerung und Magistraten oder dem Herrscher stattfanden.

Der anzuzeigende Sammelband gliedert sich in vier Teile: "Theory and Methodology" (11 ff.), "The Space of the Magistrates and Politics" (77 ff.), "The Space of the Institutions" (147 ff.), "Displaying Authority Over the Public Space and Religious Space" (233 ff.). Übergeordnetes Ziel ist es, den öffentlichen Raum mit kommunalem Leben zu füllen, danach zu fragen, für welche zivilen, juristischen, administrativen und religiösen Angelegenheiten Bauten und Heiligtümer genutzt wurden, sei es als Versammlungsraum, als Büros und Magazine für Magistrate, deren Mitarbeiter und Arbeitsutensilien, sei es als Archive oder Tresore. Des Weiteren gilt das Augenmerk Straßen und Plätzen als Zentren der Begegnung. In den einzelnen Beiträgen geht es nicht um Momentaufnahmen, sondern um die Analyse von Entwicklungen und Veränderungen im Laufe der Zeit. Dazu werden sowohl Schrift- und Bildquellen als auch archäologische Befunde ausgewertet.

Innovativ ist der Ansatz der ersten beiden Kapitel. Anstatt den Fokus primär auf Architektur und Programmatik zu legen, wird der Raum als konstitutiv für das Funktionieren der res publica und ihrer Organe sowie für den Austausch von Amtsträgern und Bürgern in den Vordergrund gerückt. Die räumliche Flexibilität von Mandataren exemplifiziert der Aufsatz von Timothy Smith, "Where's Vestorius? Locating Rome's Aediles" (99 ff.). Er kommt zu dem Schluss, dass die stadtrömischen Ädile nach Bedarf (oder im turnusmäßigen Wechsel?) an verschiedenen Stellen in der Stadt anzutreffen waren. Samuli Simelius' Aufsatz "Moving Magistrates in a Roman City Space" (120 ff.) veranschaulicht, dass städtische Straßen, auch wenn sie nicht dafür angelegt waren, "an integral part of the Roman administrative landscape" bildeten (139). Hier trafen Magistrate auf ihre Wähler; Bürger konnten ihre Anliegen in gewohnter Umgebung ansprechen oder anders formuliert, Straßen waren "a more democratic space than fora" (139). Samuli Simelius arbeitet auf Basis der antiken Zeugnisse IT-basiert unter Zuhilfenahme des Wegenetzplans von Pompeji sorgfältig heraus, welche Stellen in der Stadt die geeignetsten waren, um gesehen zu werden und um Leute zu treffen. Seine Vorgehensweise ist vorbildlich für die Analyse des partiell für die Erledigung administrativer Angelegenheiten genutzten öffentlichen Raums in kleineren urbanen Zentren.

Die in Kapitel drei und vier vereinten Beiträge gelten sehr unterschiedlichen 'klassischen' Fragen rund um das Thema des Bandes. Dazu einige Beispiele. Marco Brunettis Aufsatz "Scholae and Collegia. Spaces for 'Semi-Administrative' Associations in the Imperial Age" (176 ff.) analysiert einerseits auf Grundlage einschlägiger Arbeiten die Grundrisse, Architektur und Funktionen der so genannten scholae, der 'Vereinshäuser' von collegia, anderseits betont er die utilitas publica der Kollegien. Er wirbt dafür, den collegia licita und vergleichbaren Organisationen in Hinblick auf ihre diversen, die römische Verwaltung entlastenden Aufgaben mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Anthony Álvarez Meleros Beitrag "Between Private and Public: Women's Presence in Procuratorial Praetoria" (216 ff.) untermauert am Beispiel der Prokuratoren (unterschiedlicher Dienststellung) frühere Forschungsergebnisse. Ehefrauen, Kinder, weitere Angehörige von Mandataren konnten von der frühen Prinzipatszeit an diese in ihre Dienstprovinzen und vor Ort auf Reisen begleiten. Sie lebten mit den Amtsträgern in den Dienstgebäuden, von denen Teile als standesgemäße Unterkunft privat genutzt wurden.

Bekanntlich kam den Aufführungsstätten von ludi publici als Ort der Interaktion zwischen Amtsträgern und plebs große Bedeutung zu. Jessica Bartz, "A Measure of Economy? The Organisation of Public Games in the City of Rome and the Development of the Urban Cityscape" (251 ff.) bietet einen konzisen Überblick über die im republikanischen Rom an verschiedenen Orten temporär errichteten Spielstätten bis hin zum Bau des ersten permanenten Theaters durch Pompeius auf diesem gehörigen Grund und Boden. Die Aufsätze von Paolo Liverani "The Administration of the Imperial Property under Constantine in the Ligth of His Donations to the Church of Rom" (270 ff.) und Jasmin Lukkari "Topography of Power in the conflict of the Basilicas Between Valentinian II and Ambrose of Milan in A.D. 385/6" (282 ff.) setzen sich mit dem teilweise schwierigen Verhältnis zwischen kaiserlicher und kirchlicher Autorität in Rom unter Konstantin d. Gr. und Valentinian II. auseinander.

Eine umfassende Aufarbeitung kann ein Sammelband nicht leisten, dies ist die Aufgabe eines mehrjährigen Projekts. So versteht sich der Band als Beitrag zu dem ERC-Projekt "Law, Governance and Space: Questioning the Foundations of the Republican Tradition" (8 Anm. 1. 302 Anm. 1). Das Verdienst des Bandes liegt vor allem in dem Anliegen mehrerer Beiträge, einerseits den urbanen Raum im Imperium Romanum als dynamisches Feld für administrative Flexibilität und permanente Kommunikation wissenschaftlich auszuwerten und so dessen Funktionen als soziale, ökonomische sowie administrative Lebensader weiter zu erhellen, anderseits neues Licht auf den aus heutiger Sicht bisweilen unkonventionellen Habitus der römischen Verwaltungspraxis zu werfen.

Rezension über:

Antonio Lopez Garcia: Running Rome and its Empire. The Places of Roman Governance (= Studies in Roman Space and Urbanism), London / New York: Routledge 2024, XIX + 310 S., 36 s/w-Abb., ISBN 978-1-032-34177-4, GBP 130,00

Rezension von:
Gabriele Wesch-Klein
Zentrum für Altertumswissenschaften, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Empfohlene Zitierweise:
Gabriele Wesch-Klein: Rezension von: Antonio Lopez Garcia: Running Rome and its Empire. The Places of Roman Governance, London / New York: Routledge 2024, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/09/39053.html


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