Michael North: Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 59), München: Oldenbourg 2000, 134 S., ISBN 978-3-486-56477-8, EUR 19,80
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Bei der Konzeption des 59. Bandes der Enzyklopädie deutscher Geschichte zum Themenbereich "Handel und Finanz in der frühen Neuzeit" ließ sich der Verfasser, Michael North, von zwei Prämissen leiten:
Erstens: Aufgrund der makrostrukturellen Gegebenheiten eines zunehmend vernetzten europäischen Austauschgefüges, das sich im Zuge der europäischen Expansion schließlich zum Zentrum eines Systems weltweiter Arbeitsteilung entwickelte, ist die adäquate Berücksichtigung der gesamteuropäischen Perspektive unverzichtbar. Folglich steht die Frage nach der unterschiedlichen Einbindung deutscher Territorien in dieses Handelsgeflecht im Mittelpunkt der Darstellung.
Zweitens: Die Zirkulation von Gütern und Dienstleistungen wird als Ergebnis von Interaktionsprozessen begriffen und ist somit als maßgeblicher Bestandteil eines europaweiten Systems von Kommunikation zu verstehen. Deshalb sind Handel und Finanzen nicht von den sich in der Frühen Neuzeit rapide verändernden Vermittlungsmodalitäten für Informationen, Personen und Waren isoliert zu betrachten.
Die Gliederung des enzyklopädischen Überblicks und des sich daran anschließenden Forschungsüberblicks trägt diesen Gesichtspunkten Rechnung. So werden die beiden Hauptteile von den Themenbereichen Kommunikation und Verkehr (als für Handel und Finanz relevante Faktoren der Interaktion) eröffnet. Werden die unter diesen Kategorien zu subsumierenden Aspekte wie Nachrichtenübermittlungs- (Botenwesen und Post) und Infrastruktursysteme (Transportbedingungen auf den Wasser- und Landwegen) in herkömmlichen handelshistorischen Darstellungen eher nachgeordnet behandelt, so erscheinen sie bei North also an erster Stelle, eingebettet in einen Rahmenentwurf gesellschaftlicher Kommunikation, der die Entwicklung der Medienlandschaft ebenso mit einbezieht wie die Reisekultur, Gebiete, die in ökonomisch ausgerichteten Überblicken bislang üblicherweise kaum Erwähnung fanden.
Im enzyklopädischen Teil liefert North nach dem Kommunikation und Verkehr gewidmeten Kapitel dann einen knappen Überblick zu den Kernbereichen von Handel und Finanz, wobei die Vorstellung der deutschen Entwicklungstendenzen stets in Beziehung zu den Führungssektoren des europäischen Austauschgefüges gesetzt wird.
So beginnt der Abschnitt zum Handel mit Ausführungen zur wirtschaftlichen Schwerpunktverlagerung vom Mittelmeerraum nach Nordwesteuropa und einem kurzen Überblick zu den führenden Handelszentren der europäischen Weltwirtschaft, um darauf aufbauend die vier deutschen Handelsräume in ihrer Anbindung an die internationalen Haupthandelsströme zu unterscheiden. Im dritten Unterpunkt, zu Organisation und Trägern des Handels, werden Lokalhandel, Märkte und Börsen als Orte des Austausches in ihren Funktionen und der daraus resultierenden hierarchischen Abfolge behandelt sowie Unternehmungsformen und die soziale Gliederung der Kaufmannschaft angesprochen.
Der Abschnitt zu Geld und Banken folgt ebenfalls diesem Schema. Ausgehend von den wichtigsten Veränderungen auf dem Sektor der Edelmetallversorgung werden zunächst die Reaktionen der politischen Gewalten deutscher Territorien auf die mit der Kriegsfinanz des Dreißigjährigen Krieges zusammenhängenden Geldkrisen aufgezeigt, denen für die weitere Entwicklung von Geld und Finanz zentrale Bedeutung zukam. In den Ausführungen zum Kreditwesen steht die Integration der deutschen Territorien in den internationalen Zahlungsverkehr und somit die Adaption von Innovationen aus dem romanischen und nordwesteuropäischen Raum (Wechsel, Inhaberschuldscheine, Diskont und Indossament) im Mittelpunkt. Ein kurzer Überblick zu den wichtigsten merchant-bankers und Privatbankiers in den Finanzzentren Frankfurt, Köln und Hamburg schließt den Überblicksteil.
Der Grundkonzeption folgend, wird der zweite Hauptteil, der die Grundprobleme und Tendenzen der Forschung zum Gegenstand hat, von drei relativ ausführlichen Kapiteln zum Faktorenbündel Kommunikation, Reisen und Verkehr eröffnet. Im ersten Abschnitt würdigt North nach einer Zusammenfassung kommunikationstheoretischer Ansätze insbesondere die neuesten Untersuchungen zum Postwesen und zur frühneuzeitlichen Kommunikationsrevolution im Hinblick auf die Entstehung eines marktorientierten Informationssystems. Während er im zweiten Kapitel vorrangig auf die fruchtbaren Anregungen der in erster Linie von Mediävistik und Kulturgeschichte vorangetriebenen Reiseforschung für die Handelsgeschichte hinweist, wird im Abschnitt zur Verkehrsgeschichte - einem für lange Zeit von der deutschen Forschung vernachlässigten Feld - vor allem die Notwendigkeit von eher ökonomisch ausgerichteten Untersuchungen, die sich in komparativer Perspektive mit Transportkostenanalysen befassen, herausgestrichen.
Im Kapitel über Messen und Börsen kann North dann die besonders in den letzten zwanzig Jahren zu verzeichnenden Fortschritte nicht nur der europäischen, sondern auch der deutschen Forschung hinsichtlich einer Rekonstruktion der wichtigsten europäischen Waren- und Wechselmärkte nachzeichnen.
Demgegenüber ist der fünfte Abschnitt zu Kaufleuten und Manufakturunternehmern eher sozialgeschichtlich ausgerichtet und reicht von der Netzwerk- und Elitenforschung über die Untersuchung der berufsbedingt hohen Mobilität der Kaufmannschaft bis hin zu Forschungen, die sich mit dem Wandel des kaufmännischen Unternehmertums an der Schwelle zur Industrialisierung befassen.
Abgeschlossen wird der Forschungsüberblick von den beiden Kapiteln zu Zahlungsverkehr und Kredit, zwei Bereichen, auf denen die deutsche Forschung im internationalen Vergleich für lange Zeit große Rückstände zu verzeichnen hatte. Dementsprechend räumt North der Diskussion über die Probleme von Geldumlauf und Wechselkursen im europäischen Kontext großen Raum ein. Kann er für die Zeit bis zur Geldkrise des Dreißigjährigen Krieges eine Reihe von Studien anführen, die die Forschungssituation erheblich verbessert haben, so gehören das 17. und 18. Jahrhundert unter diesen Aspekten noch zu den Defizitbereichen, wobei sich vor allem das Fehlen von mikrohistorischen Untersuchungen einzelner Handelhäuser und ihrer Zahlungsusancen negativ bemerkbar macht.
Zu einem ähnlichen Befund kommt North für den Kreditsektor. Forschungen zur frühneuzeitlichen Bankengeschichte sind bislang noch Mangelware, sieht man einmal von den Forschungen ab, die den Einsatz kredittechnischer Instrumente im hansischen Handelsraum untersuchen.
Abgeschlossen wird der Band von einer Bibliografie, die den Großteil der insbesondere in den letzten 20 Jahren erschienen deutschen Forschung aufführt, und einem Register.
Die Konzeption von North, Handel und Finanz unter dem "Dach" Kommunikation zu behandeln, kann einerseits als Versuch gewertet werden, kulturhistorischen Ansätzen auch bei der Behandlung ökonomischer Thematiken Rechnung zu tragen. Andererseits erscheint der Ansatz auch von dem Anliegen inspiriert, den Wurzeln unserer postmodernen Informationsgesellschaft auf einem Sektor nachzuspüren, der sich angesichts des ihm eigenen Charakterzugs einer frühzeitig ausgeprägten gesamteuropäischen Vernetzung letztlich wie kein anderer dazu anbietet, neue Perspektiven zu entwickeln. Der Band von North weist damit in die richtige Richtung und liefert einen gelungenen Überblick, der zur Beschäftigung mit den Forschungsfeldern Handel und Finanz anregt und darüber hinaus den Einstieg in diese Thematiken entschieden vereinfacht.
Allerdings ist bei der Ausarbeitung des Zugriffs über die Kommunikation ein Defizit zu vermerken. So vernachlässigt North die Interaktion zwischen den europäischen Geschäftseliten und den politischen Gewalten, deren Interessen auf einem breit konzipierten Kommunikationssektor, der sich von der Informationsvermittlung über jegliche Art von Transferdiensten erstreckte, aufeinander trafen. Zwar taucht dieser Zusammenhang an einigen Stellen auf, reflektiert und systematisiert wird er auf theoretischer Ebene aber nur ungenügend. Und so bleibt die zentrale Rolle, die Handel und Finanz gerade über die Kommunikation bei der frühstaatlichen Entwicklung zukam, nahezu ausgeblendet. Ein Umstand, der möglicherweise damit zusammenhängt, dass es sich bei diesem Themenkomplex um eines der großen Desiderate der deutschen Forschung handelt. Vielleicht hätten sich über diese Schiene auch die Bereiche Kommunikation und Verkehr besser verklammern lassen.
Diese Kritik soll den Wert des Bandes aber keineswegs schmälern, sondern eher als Anregung für eine weitere interdisziplinäre Öffnung und eine breitere konzeptionelle Reflexion, der sich North ja verschrieben hat, verstanden werden.
Julia Zunckel