Georg Meister / Monika Offenberger: Die Zeit des Waldes. Bilderreise durch Geschichte und Zukunft unserer Wälder, Frankfurt am Main: Zweitausendeins Verlag 2004, 309 S., 445 Fotos und Grafiken, ISBN 978-3-86150-630-0, EUR 44,90
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Wald, die Geschichte des Waldes, seine Nutzungen und Ausformungen in der Vergangenheit sind seit den 1980er-Jahren vielfach Thema geschichtswissenschaftlicher Auseinandersetzung gewesen. Nun haben sich ein Forstfachmann und eine als Wissenschaftsjournalistin tätige Biologin des Waldes, genauer gesagt des deutschen Waldes, in Vergangenheit und Gegenwart angenommen. Georg Meister war über Jahrzehnte in der Forstwirtschaft tätig und kennt als Praktiker die Konflikte des Waldbaus von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute aus eigener Erfahrung sehr genau. Er fotografierte von den 1960er-Jahren an einzelne Wälder immer wieder und kann daher in Form von "Zeitsprungbildern" den Wandel sowie die Dynamik von Wald hervorragend dokumentieren. Mit 445 Bildern, Diagrammen und Schautafeln überaus reichhaltig illustriert, verfolgen die Autoren das Ziel, die Veränderungen des deutschen Waldes nachzuzeichnen.
Die Form der Präsentation, nämlich im Wesentlichen Bilder, die von erläuternden Texten begleitet sind, deutet bereits darauf hin, dass sich das Werk in erster Linie an interessierte Laien wendet. Es handelt sich weniger um ein wissenschaftliches Buch als vielmehr um ein Plädoyer für einen naturnahen Waldbau. Nachhaltiges Wirtschaften, was auch immer das konkret bedeuten mag, wird oftmals eingefordert. Biodiversität, Artenschutz und standorttypischer Baumbesatz stehen im Mittelpunkt des Buches, dem man eine Nähe zum Naturschutz wohl nicht absprechen wird. Über die gesamte Länge des Buches wird ein Kampf gegen die Fichtenmonokultur und die Jägerlobby, die den Wildbestand künstlich hochhält, geführt.
Wer sich eine illustrierte Geschichte des deutschen Waldes erhofft, wird von dem Bildband eher enttäuscht. Eigentlich hätte man aufgrund des Titels und der Kapitelgliederung mehr Historisches erwartet als geboten wird. Immerhin weisen drei der sieben Kapitel in die Vergangenheit: Kapitel zwei "Wälder der Vergangenheit", Kapitel drei: "Wälder der Gegenwart. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1945" und Kapitel 4 "Wälder der Gegenwart. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute". Auch ein Blick auf die Bibliografie (306) macht klar, dass die geschichtswissenschaftlichen Arbeiten der letzten zwei Jahrzehnte unbeachtet blieben.
Die Stärken dieses Bandes liegen ganz sicher in den naturwissenschaftlichen Ausführungen zum Wald als Ökosystem. Die Kontextualisierung des Baumes in seiner Umwelt gelingt sehr anschaulich, dies insbesondere im ersten Kapitel ("Natürliche Wälder"). So verdeutlicht zum Beispiel eine Grafik (21) den Nährstoffkreislauf eines Waldökosystems und eine Grafik (51), wie natürliche Walderneuerung vor sich geht. Die Funktion von Tieren wird ebenso beleuchtet wie die Ausbreitung von verschiedenen Baumarten in Europa über die Jahrhunderte. Wandergeschwindigkeit und Ausbreitungsart der einzelnen Baumsorten werden dargestellt. Die Funktion von Flechten als Umweltindikatoren findet genauso ihren Platz wie die Tätigkeiten von Pilzen und Maden. Aber es wird auch bereits in diesem ersten Kapitel deutlich, was in den nachfolgenden immer wieder als das zentrale Thema aufgenommen werden wird: Der Mensch hat insbesondere in den letzten beiden Jahrhunderten sehr stark in Waldökosysteme eingegriffen. Überhöhte Wildbestände und der vermutete ökonomische Nutzen insbesondere von Fichtenmonokulturen haben naturnahe Mischwälder verdrängt. Diesem Übel gilt es zu begegnen.
Die einzelnen Kapitel folgen einem immergleichen Bauprinzip. Zuerst werden Bilder mit beigefügten Textblöcken, circa zwei pro Seite, dargeboten. Am Ende des Kapitels steht ein durchgängiger Textblock von acht bis zehn Seiten. Der Schwerpunkt der Ausführungen des Bandes liegt auf der jüngeren und jüngsten Geschichte. Gerade jene Zeit, in der Holz am Bedeutendsten für die Menschen war, nämlich vor der Industriellen Revolution, findet eine eher bescheidene Behandlung (65-83). Es werden zwar diverse Waldnutzungen vom Salinenholz über die Streuentnahme bis hin zur Jagd thematisiert, jedoch wäre eine umfassendere und differenziertere Sichtweise wünschenswert gewesen. Es muss allerdings bedacht werden, dass es sich um einen (Foto-)Bildband handelt und für die vorindustrielle Zeit zumindest nicht mit Fotografien gearbeitet werden kann. Das Heranziehen von Bildern des 18. Jahrhunderts durch die Autoren erfolgt dann auch in methodisch bedenklicher Weise: Nicht nur, dass die Kurzabhandlung des Mittelalters mit Bildern aus der Neuzeit unterlegt wird (68), es werden auch Gemälde als Quellen und Zeugen für den tatsächlichen Waldzustand aufgeboten (88).
Als Historiker, insbesondere als Mediävist, hat man an Sätzen wie: "Dieser Wald gehörte niemandem; jeder Freie Germane konnte darin nach Belieben jagen und fischen" (66) sehr wenig Freude, zumal sie die ethnische Problematik des Raumes im Frühmittelalter höchst unglücklich berühren, Ergebnisse historischer Waldforschung ignorieren und falsche Bilder transportieren. Solche Ausrutscher sind besonders schade, da die historischen Ausführungen an und für sich ansonsten trotz aller Kürze als größtenteils in Ordnung zu bezeichnen sind. Allerdings wäre die chronologische und thematische Gliederung gerade bei einer Behandlung des Waldes vielleicht unter dem Leitaspekt der Energie glücklicher gelöst worden. Denn Wald und Holz waren nun einmal in erster Linie Energieträger der Vergangenheit. Die Nutzung des Waldes war auf Jahrhunderte vorrangig von diesem gesellschaftlichen Bedarf geprägt. Daher erscheint es auch unverständlich, dass am Beginn des Textblocks des dritten Kapitels (108) die Französische Revolution und damit einhergehende rechtliche Einschnitte als für den Wald bedeutend hervorgehoben werden. Viel mehr als dieses Ereignis waren doch die Umwälzungen im Zuge der Industriellen Revolution entscheidend für die Entwicklung des Waldes und seiner Nutzung.
Der Leser gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass die Textpassagen am Ende der Kapitel mit den zuvor abgebildeten Fotografien nicht ganz im Einklang stehen. Allzu oft finden sich die zentralen Anliegen des Kampfes gegen die Fichtenmonokultur und die Jägerlobby überbetont in den Bildtexten. Die aktuelle Problematik der deutschen Wälder und ihrer Nutzung wird so allzu stark in die Vergangenheit zurückprojiziert. Sicher war die Jagd immer Thema von Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Grundherren, aber daneben gab es noch viele andere mehr.
Die Autoren erwecken auch den Eindruck, dass erst durch die Eingriffe der Menschen in den letzten 200 Jahren eine Entfernung von naturnahen Waldzuständen eingetreten sei. Dies ist allerdings verfälschend, kann man den Quellen doch bereits für das Spätmittelalter massive Eingriffe entnehmen. Es seien beispielhaft nur die Pflanzungen von Monokulturen im Nürnberger Reichswald oder am Steinfeld südlich von Wien genannt. Das 18. Jahrhundert und die Industrielle Revolution brachten eine neue Dimension des "Waldumbaus" mit sich. "Waldumbau" ist im Übrigen eine Vokabel, die sich durchgängig in den Texten findet und wohl der Sprache der Forstwirte entstammt. Ein technisch-planerischer Denkansatz ist diesem Terminus immanent. Die Verwendung auch im vorliegenden Band dokumentiert sehr deutlich, dass bei allem Herbeisehnen von naturnahen Wäldern die Funktion des Menschen als Gestalter und Entscheidungsträger wohl nicht aufgegeben werden soll.
Trotz der kritischen Bemerkungen zur Behandlung vor allem der vorindustriellen Zeit muss insgesamt betont werden, dass es sich bei dem vorgelegten Band um ein sehr nützliches und brauchbares Werk handelt. Es ist ein kämpferisches Buch, ein Buch, das nachhaltiges Wirtschaften und naturnahe Wälder für eine sozial verträgliche Zukunft fordert und die Aberrationen von diesem Ziel vor Augen zu führen versucht. Dem Leser und Betrachter des Buches wird verdeutlicht, dass Wald nicht gleich Wald ist. Die Autoren veranschaulichen, wie lang Umtriebszeiten von Waldökosystemen sind und wie weit reichende Folgen die Anpflanzung von standortfremden Baumarten haben können. Nach der Lektüre des Buches wird man mit anderen Augen durch Wälder gehen, mehr sehen und differenzierter wahrnehmen.
Christoph Sonnlechner