Markus Wachowski: Sada in San'a. Zur Fremd- und Eigenwahrnehmung der Prophetennachkommen in der Republik Jemen (= Studies on Modern Yemen; Vol. 6), Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2004, IV + 174 S., ISBN 978-3-87997-320-0, EUR 34,00
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Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine religionswissenschaftliche Magisterarbeit mit islamwissenschaftlichem Schwerpunkt. Ihr Thema ist der gesellschaftliche Wandel nach der Abschaffung des zaiditisch-schiitischen Imamats im Nordjemen 1962, also nach dem Ende der religiös begründeten autokratischen Herrschaftsform und der Etablierung eines republikanischen Staates. Ein solch einschneidender politischer Umbruch geht gemeinhin einher mit dem Machtverlust alter und der Machtübernahme neuer politischer und sozialer Eliten. Dies gilt auch für den Jemen.
Während die Phasen der politischen Geschichte von der Forschung gut dokumentiert sind, sind Studien zu den langfristigen Auswirkungen des Wandels auf die traditionelle Gesellschaftsstruktur eher rar. Hier setzt die Arbeit von M. Wachowski an. Er untersucht das Schicksal der imamitischen Elite par excellence, also der Gruppe, aus der die Imame seit über tausend Jahren stammten. Dabei handelt es sich um Nachkommen des islamischen Propheten Muhammad (gestorben 632), die nach zaiditischer Lehre allein das Recht auf Führung von Staat und Glaubensgemeinschaft hatten. Heute beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung wohl nicht mehr als fünf Prozent. Auch historisch waren die seit dem 10. Jahrhundert eingewanderten Prophetennachkommen stets eine kleine Minderheit, wenngleich mit erheblicher politischer und sozio-religiöser Bedeutung. In einer Kombination aus geschichtlichem Überblick und Feldstudie sucht Wachowski die Situation gegenwärtiger Vertreter dieser Klasse zu erfassen und ihre Bewertung des gesellschaftlichen Wandels vorzustellen.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil (11-32) dient der Darlegung der sozialwissenschaftlich-ethnographischen Instrumentarien zur Vorbereitung und Durchführung der Feldstudie. Wachowski wählt einen methodisch flexiblen Ansatz, der auf fortschreitende Theoriebildung während der Arbeit im Feld zielt und eine Anpassung an die lokalen Gegebenheiten ermöglichen soll.
Der zweite Teil (33-107) ist einer auf Sekundärliteratur basierenden Darstellung der jemenitischen Gesellschaft und der sie historisch prägenden Faktoren mit dem Ziel der Verortung der untersuchten Gruppe in ihrem sozialen Kontext gewidmet. Der traditionell starken Hierarchisierung der Gesellschaft durch die Abstammung entsprach die Bildung gesellschaftlicher Klassen, die auch im republikanischen Jemen, nun aber unter veränderten Vorzeichen, weiterhin existieren. Nicht mehr die Abstammung vom Propheten, sondern die Herkunft aus dem Milieu der jemenitischen Stämme steht in der Republik an der Spitze der sozialen und politischen Hierarchie. Erfreulicherweise verzichtet Wachowski auf allzu simple Gleichungen und weist auf die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung der Geschichte der Prophetennachkommen als Gruppe hin. Denn keineswegs alle Mitglieder dieser Abstammungskategorie konnten im Verlauf der langen Geschichte des Imamats an der Staatsführung teilhaben, und keineswegs alle gelangten zu Macht und Wohlstand. Der Hinweis auf eine Hierarchisierung auch innerhalb der Nachkommenschaft des Propheten erweist sich im Folgenden als wichtige Voraussetzung für das Verständnis zeitgenössischer Vertreter dieser Gruppe.
Der dritte und wichtigste Teil der Arbeit (109-157) enthält den Bericht über eine zweimonatige Feldstudie in der jemenitischen Hauptstadt im Jahr 2001. Wachowski beschreibt die Umstände seiner Kontaktaufnahme zu Gesprächspartnern aus der Gruppe der Prophetennachkommen, von denen er elf im Alter zwischen fünfzig und Mitte sechzig zu ihren Ansichten über Imamat und Republik, über die eigenen Lebensläufe und die ihrer Väter und Söhne näher befragen konnte. Zu den beachtenswerten Ergebnissen der Feldstudie gehört zum einen die Feststellung der weitgehenden Tabuisierung des offenen Gesprächs über die Prophetennachkommen und ihre Rolle in der Gesellschaft, die aus der politischen Brisanz des Themas für die Republik resultiert. Zum anderen kann Wachowski drei unterschiedliche Ansätze zur Interpretation der eigenen und der gruppenspezifischen Geschichte bei seinen Gesprächspartnern nachweisen, die er als "einfache", "mittlere" und "gehobene" Vertreter der Abstammungskategorie klassifiziert. Die in der vorrepublikanischen Zeit begründete soziale Positionierung in der Gruppe der Prophetennachkommen beeinflusst erheblich die Bewertungen von Geschichte und Gegenwart. Positive oder negative Äußerungen über Imamat und Republik und die eigene gegenwärtige Situation korrelieren nach Wachowski weitgehend mit dem Ausmaß des Verlustes von sozialem Einfluss und Wohlstand durch die Einführung der Republik. Die negativsten Bewertungen der republikanischen Staatsform und der eigenen Situation finden sich bei Vertretern der "mittleren" Schicht, die unter den Imamen zumeist in der Staatsverwaltung arbeiteten: Sie hatten genug an Status und Besitz, um viel verlieren zu können, aber nicht genug, um die Verluste anderweitig zu kompensieren.
Es ist ein großes Verdienst der Arbeit, aus erster Hand einen Einblick in eine wichtige, aber schwer greifbare innerjemenitische Diskussion um einen gesellschaftlichen Umbruch zu geben, der bisher keineswegs bewältigt scheint. Der Autor nähert sich seinem Gegenstand im Bewusstsein der mit Feldforschung allgemein verbundenen Schwierigkeiten. Aber auch die im Detail beschriebene geduldige Anpassung an die spezifischen Bedingungen der jemenitischen Gesellschaft zeugt von wissenschaftlicher Skrupulosität.
Allerdings muss man Wachowski unzulässige Verallgemeinerung vorwerfen, wenn er die Informationen seiner Gesprächspartner zu pauschalen Aussagen über "die einfachen, mittleren und gehobenen" Prophetennachkommen nutzt. An keiner Stelle wird klar, wie sich die elf Kontaktpersonen auf die drei Gruppen verteilen. Und man tut gut daran, sich stets ins Gedächtnis zu rufen, wie klein und lokal begrenzt ihre Zahl letztlich war. Eine größere Transparenz im Hinblick auf die Gesprächspartner, die trotzdem deren Anspruch auf Diskretion gewahrt hätte, wäre angebracht gewesen - etwa in Form einer anonymisierten Tabelle mit Angaben zu Alter, Beruf, Zahl der männlichen Geschwister und Kinder und Zuordnung zu einer der drei Kategorien. Ein solcher empirischer Beleg hätte das Ergebnis nicht geschmälert, sondern untermauert. Denn dass die in einer Zeit von nur zwei Monaten zusammengetragenen Daten kaum zu Aussagen allgemeiner Art führen können, liegt auf der Hand. Aber bei solcher Kritik sollte nicht vergessen werden, dass es sich um eine Magisterarbeit handelt. Eine breitere Untersuchungsbasis, sowohl im Hinblick auf die Zahl der Kontaktpersonen als auch im Hinblick auf eine regionale Ausweitung, wäre wünschenswert, könnte aber nur im Rahmen einer größeren Untersuchung aufgebaut werden.
Andere Schwächen von Wachowskis Arbeit liegen im sprachlich-formalen Bereich. Unverständliche Formulierungen und unklare grammatische Bezüge, aber auch unpräzise Darlegungen auf dem theoretisch-methodischen Gebiet sowie zahlreiche überflüssige Zitate beeinträchtigen den Lesefluss in einigen Abschnitten. Falsche Transliterationen arabischer Termini stören sicher vor allem Arabisten und Islamwissenschaftler.
Insgesamt jedoch hinterlässt die kleine, aber fundierte Feldstudie einen guten Eindruck. Sie ist ein begrüßenswerter Beitrag zur Verbesserung unserer Kenntnis der zeitgenössischen jemenitischen Gesellschaft und ein Beispiel für methodisch reflektierte, erfolgreiche Feldforschung.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Esther Peskes