John Julius Norwich (ed.): The Duff Cooper Diaries. 1915-1951, London: Weidenfeld & Nicolson 2005, xiii + 512 S., ISBN 978-0-297-84843-1, GBP 20,00
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Als König Edward VIII im Herbst 1936 drohte, für seine Liebe zu der Amerikanerin Wallis Simpson auf seinen Thron zu verzichten, steuerte Großbritannien auf eine Staatskrise zu, da die britische Regierung dem äußerst populären Edward die entsprechende Gesetzesänderung verweigerte. Um den König von der Unmöglichkeit einer Ehe mit einer bereits zweimal verheirateten Bürgerlichen zu überzeugen, wandte sich Premierminister Stanley Baldwin an sein Kabinettsmitglied Duff Cooper. Cooper sollte seinem Jugendfreund Edward nahe legen, dass er Mrs. Simpson zwar nicht heiraten könne, aber niemand etwas gegen eine amerikanische Geliebte habe, so lange dies diskret bleibe. Bekanntlich hörte Edward lieber auf sein Herz als auf diese Ratschläge und dankte ab. Die Erinnerungen Coopers an die Gespräche mit König Edward offenbaren, dass im November 1936 zwei Männer im Buckingham Palace diskutierten, deren moralische Überzeugungen unterschiedlicher kaum hätten sein können. Denn was Edward als "height of hypocrisy" (230) verurteilte, praktizierte Cooper bereits seit vielen Jahren.
Tatsächlich war Duff Cooper (1890-1954) eine der schillerndsten politischen Figuren der Zwischenkriegszeit in Großbritannien. Schon zu Lebzeiten gaben ihm seine vielfältigen Kontakte im politischen und gesellschaftlichen Establishment, seine Ehe mit der als "beauty of the age" gefeierten Schauspielerin Diana Manners, sein Erfolg als Autor, seine Trink- und Spiellust und nicht zuletzt seine unzähligen Affären eine Aura des Spektakulären und Außergewöhnlichen. Politische Gegner und betrogene Ehemänner kolportierten dabei gerne das Bild des sozialen Emporkömmlings, des dandyhaften Spielers, dessen politischer Dilettantismus nur noch durch seinen Eskapismus übertroffen wurde. Seine politischen Verbündeten und seine zahlreichen Freunde hingegen rühmten seine Loyalität, seine Brillanz als Autor und Redner und seine Prinzipientreue als einer der frühesten und entschiedensten Gegner der Appeasement-Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland.
Auf die Tagebücher dieses Weltkriegteilnehmers, Abgeordneten für die Konservative Partei, Kabinettsministers und britischen Botschafters in Paris durfte man also gespannt sein. Dass diese nun tatsächlich beim Londoner Verlag Weidenfeld und Nicolson und nicht in einem englischen Landhauskamin gelandet sind, ist ein Glücksfall. Denn der Verleger Rupert Hart-Davis, der von seinem Onkel Duff Cooper die 17 handgeschriebenen Bände zur Aufbewahrung bekommen hatte, war nach der Lektüre von der Freizügigkeit, mit der Cooper über seine sexuellen Abenteuer berichtet, so schockiert, dass er die Tagebücher vernichten wollte. Duff Coopers Sohn, John Julius Norwich, konnte im letzten Moment Einspruch erheben und hat sich jetzt für eine Veröffentlichung entschieden, denn: "my father has been dead for over fifty years, my mother for nearly twenty; and the other ladies concerned have also been long in their graves." (xii)
Selbstverständlich blieb das Leben und politische Wirken Duff Coopers bisher nicht undokumentiert. Neben der Autobiografie mit dem schönen Titel "Old men forget" gaben schon vor zwanzig Jahren Biografien über ihn und seine Frau Auskunft über das ereignisreiche Leben dieses Mannes. Insbesondere die Arbeit von John Charmley konnte sich dabei bereits auf den Nachlass Coopers sowie eine Vielzahl weiterer archivalischer Quellen stützen. [1] Zu Recht stellt John Julius Norwich daher in seiner Einleitung den Tagebucheintragungen die Frage voraus: "Why, indeed, should it be published at all?" Und in der Tat: eine historische Quelle, die zur Umschreibung der politischen Geschichte Großbritanniens zwingen würde, sind die Duff Cooper Diaries nicht. Auch über die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen der zwanziger und dreißiger Jahre, über die Herausforderungen, denen sich das politische System Großbritanniens auf Grund wirtschaftlicher Krisenstimmung und der Etablierung von autoritären und diktatorischen Systemen in ganz Europa ausgesetzt sah, erfährt man sehr wenig - nicht zuletzt auch, weil es für die Jahre 1926-1933 gar keine Aufzeichnungen gibt.
Ein erster Höhepunkt der in drei Abschnitte unterteilten Tagebücher ist die Darstellung des Ersten Weltkriegs. Cooper gehörte nicht zu den ersten Freiwilligen und verbrachte die ersten Jahre des Krieges in London mit der Forcierung seiner Karriere, vor allem aber mit ausschweifenden Partys. Immer wieder wurden diese jedoch durch die Nachricht gefallener Freunde und Bekannter getrübt. Tatsächlich wurde die gesellschaftliche Elite in Form der jungen Unteroffiziere, die sich freiwillig aus Oxford und Cambridge an die Front gemeldet hatten, überproportional stark dezimiert. Cooper brachte das im August 1915 auf die Formel: "When I think of Oxford now I see nothing but ghosts." (14) Seinen Hang zu Dekadenz und Verdrängung scheint das aber nur verstärkt zu haben. Als Cooper nach kurzer Ausbildung erst im Frühjahr 1918 an die Front in Frankreich kommt, findet sich neben der lässig-distanzierten Darstellung des Kriegshorrors vor allem die ausführliche Besprechung luxuriöser Menüs und Trinkgelage. Bei Kriegsende fühlte er sich angesichts der vielen toten Freunde von den Jubelfeiern in London abgestoßen. Zu einem Pazifisten wurde Cooper allerdings nie. Auf Grund seiner entschiedenen Opposition zur britischen Appeasement-Politik in den Dreißigerjahren wurde er in der nationalsozialistischen Propaganda gar zu einem Anführer der "Kriegshetze aus England". [2] Aus Protest gegen das Münchener Abkommen trat Cooper von seinem Posten als First Lord of the Admiralty zurück. Es verwundert daher nicht, dass die Jahre 1938 und 1939 hinsichtlich des politischen Gehalts sicher die dichtesten der gesamten Tagebücher sind. Doch wirklich Neues erfährt man auch hier nicht.
Dennoch sind die Tagebücher weit mehr als eine Aneinanderreihung von Dinner-Partys, Trinkexzessen und Schilderungen meist erfolgreicher Verführungskünste - wie dies ein moralisch empörter Rezensent im New Statesman beklagte. [3] Vielmehr entsteht über die meist nur einen Absatz langen und nicht immer kontinuierlich fortgeführten Einträge hinaus das faszinierende Portrait einer Epoche und einer gesellschaftlichen Schicht, die ihre Funktion als Führungselite eines Empires - den vielfältigen Herausforderungen der Moderne zum Trotz - mit dekadentem Prunk erfüllte. Die Champagner-Welt der Partys im "Savoy" und im "Ritz", der Kleinkosmos des luxuriösen Landlebens und der Jagdausflüge, die polyglotte Atmosphäre der Sommerfrischen in Venedig und der regelmäßigen Einkaufsbummel in Paris wird hier für den Leser wieder lebendig. Doch nicht nur auf diesen Feldern kommt der Autor seiner Chronistenpflicht gewissenhaft nach. Kaum ein gesellschaftliches Forum scheint für den sozialen und politischen Aufstieg eines Mannes wie Cooper von größerer Bedeutung gewesen zu sein als der Gentlemen's Club. In Clubs wie dem Carlton, Garrick, Beefsteak, vor allem aber im White's Club, verlor Cooper nicht nur Unsummen bei Poker und Bridge, sondern sicherte sich auch die entscheidenden Kontakte für seine politische Karriere - insbesondere den zu Winston Churchill. Eine Arbeit, die den britischen Gentlemen's Club als Institution und seine Funktion als elitäres Netzwerk und Rekrutierungsreservoir von Führungspersonal vor allem für die Konservative Partei untersuchen würde, könnte hier reichlich Material finden.
Doch auch sonst sind die Duff Cooper Diaries äußerst lesenswert. Sprachlich elegant, mit schonungsloser Ehrlichkeit für die eigenen Schwächen und die seiner Zeitgenossen und mit einer Vielzahl absurd komischer Anekdoten sind diese Tagebücher das ungewöhnliche Portrait eines ungewöhnlichen Politikers und eine authentische Skizze einer untergegangenen Gesellschaft.
Anmerkungen:
[1] Duff Cooper: Old men forget. The Autobiography of Duff Cooper, London 1956; Philip Ziegler: Diana Cooper, London 1981; John Charmley: Duff Cooper, The Authorized Biography, London 1986.
[2] Otto Kriegk: Kriegshetze aus England, Berlin 1939.
[3] Peregrine Worsthorne: Private Affairs, in: New Statesman, 24.10.2005.
Bernhard Dietz