Alexander Bailey Gauvin et al. (eds.): Hope and Healing. Painting in Italy in a Time of Plague, 1500-1800, Worcester, MA: Worcester Art Museum 2005, 264 S., 38 color plates, 71 halftones, ISBN 978-0-936042-05-3, USD 39,95
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Naoë Kukita Yoshikawa (ed.): Medicine, Religion and Gender in Medieval Culture, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2015
Der Zugang zur seit einigen Jahren boomenden Seuchengeschichte ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch die Sozial- und Mentalitätsgeschichte bestimmt.[1] Es ist wohl den Diskursmoden zu verdanken, dass die bildende Kunst als Quelle der Pestgeschichte eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die nicht zu unterschätzende Problematik ihrer dokumentarischen Relevanz wurde bereits von Francis Haskell aufgezeigt.[2] Die weitgehende thematische Festlegung der mittelalterlichen Malerei und Skulptur auf religiöse, antik-mythologische sowie - wenn auch in sehr viel geringerem Maße - epische Themen (man denke z.B. an den Iwein-Zyklus in Schmalkalden oder auf Burg Rodenegg) schloss die Darstellung bloßer Genre- bzw. Alltagsszenen ohne theologische oder mythologische Interpretationsebenen tatsächlich bis zum späten 15. Jahrhundert weitgehend aus (Badeszenen oder erotische Motive, wie sie nicht selten in Buchillustrationen auftauchten, waren praktisch ausnahmslos in moralisierende Kontexte eingefügt oder dienten der Erläuterung autoritativer Texte). Diese thematische Restriktion galt auch und gerade zu Pestzeiten.[3] Es hätte so der Tradition wie dem Decorum der Künstler des 14. Jahrhunderts widersprochen, die von Boccaccio und Petrarca geschilderten Szenen des Grauens zu malen. Zunächst war nur die Darstellung der Pestpatrone und Schutzheiligen, etwa von Sebastian, als eindeutiger thematischer Brückenschlag möglich. Die rasch zunehmende Zahl des bereits im frühen und hohen Mittelalter nachweisbaren Sebastian-Motivs nach 1348 belegt sogar sehr konkret die anhaltende Angst der Gläubigen vor neuen Epidemien (Rochus, der Zeitgenosse, gewann als Schutzheiliger dagegen erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Einfluss!). "Pestszenen" im engeren Sinn waren, wie auch Landschafts- oder Städtedarstellungen, im italienischen Trecento bestenfalls als Hintergrund- oder Nebenmotive eines religiös oder durch ein großes mythologisches oder historisches Thema akzentuierten Szenariums möglich. Auch bei Totentänzen und Darstellungen des "Triumphs des Todes" sowie bei diversen Memento-Mori-Sujets konnten von der Seuche gezeichnete Menschen und ihr Leiden dargestellt werden. Diese Motive, die sich ebenfalls schon vor 1348 nachweisen lassen, nahmen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ebenfalls deutlich zu.
Aus ursprünglichen Nebenszenen also, die auch im Kontext des "Intercessio"-Motivs auftauchen konnten, emanzipierten sich erst ab 1500 selbstständigere Darstellungen des Pestalltags. Ausnahmen wie die Massenszene in den "Antiquitates Flandriae" des Gilles Li Muisis (um 1350) sowie einige einschlägige Buchillustrationen des 14. und frühen 15. Jahrhunderts bestätigen die Regel. Bis zum 18. Jahrhundert blieben Pestmotive und Seuchenszenen dennoch fast ausschließlich in einen religiösen Kontext eingebunden. Dies gilt auch für die im vorliegenden Katalog abgebildeten Gemälde. Vor allem die Barockmaler - und der Katalog beschränkt sich auf die Frühe Neuzeit und den Barock! - erkannten die malerische Herausforderung des Sujets, in dem Krankheit, Tod, Verzweiflung, Aggression und Resignation, Erotik und Metaphysik in einer bemerkenswerten Dramatik verschmolzen. Auch sollte dem Gläubigen der strafende Gott nahe gebracht werden. Glanz und Elend, d.h. der programmatische, sonst vor allem an Gräbern bzw. in der Ausschmückung von Kirchen dokumentierte barocke Gegensatz von Diesseits und Jenseits, waren hier besonders leicht zu kombinieren.
Es war eine gute Idee, Seuchenbilder aus amerikanischen Museen (Ausnahmen bilden Angelo Carosellis "Pest von Ashdod" aus der Londoner National Gallery und das Gemälde des hl. Carlo Borromeo von Pierre Mignard aus Caen!) in einer Ausstellung zu präsentieren, zumal einige der im Worcester Art Museum gezeigten Kunstwerke in der internationalen Forschung bisher wenig berücksichtigt wurden.
Bekannt ist freilich seit langem der Bozzetto Giambattista Tiepolos (Metropolitan Museum New York) zur berühmten Altartafel der heiligen Thekla im Dom von Este. Zu den Highlights der im Katalog meisterhaft abgebildeten und umfassend besprochenen Werke zählt ferner Bernardino Luinis Tafel "Madonna mit Sebastian und Rochus" (State Art Museum Florida), die - als Variante des "Sacra Conversazione"-Themas - für eine der häufigsten Motivkombinationen der alten italienischen Malerei überhaupt steht. Jacopo Bassano ist mit einer bemerkenswert unkonventionellen Darstellung der beiden Pestpatrone vertreten. Auffallend ist auch das "Memento Mori" des Caravaggio-Nachfolgers Giovanni Martinelli (New Orleans), das den Tod als überraschenden Gast bei einem opulenten Mal zeigt - Einflüsse des spätmittelalterlichen Triumph-des-Todes-Motivs sind unverkennbar. Der flämische Maler Michael Sweerts ist, in der Nachfolge Poussins, mit einer drastischen Darstellung der Pest in einer Fantasiestadt vertreten. Bemerkenswert, fast manieristisch drapiert erscheint auch die drastische Darstellung des Frankfurter Malers Johannes Lingelbach, der in Rom gewirkt hatte und später in den Niederlanden arbeitete. Bernardo Bellottos Vedute der römischen Engelsburg erinnert daran, dass das Hadrians-Mausoleum Schauplatz des Engelswunders während der Pestprozession Gregors des Großen war. Tatsächlich gilt die Justinianische Pest mit ihren nachfolgenden, das 6. und 7. Jahrhundert bedrohenden Epi- und Endemien heute als erste "gesicherte" Pest der abendländischen Geschichte. Aus dem Umfeld der venezianischen Kunst ragen Canalettos Salutekirche (Houston), Luca Carlevarjis "Festa della Salute" (Hartford), Tintorettos "Erweckung des Lazarus" (Reading/ Pennsylvania) sowie die Himmelfahrt Christi (Columbia Museum of Art) und Mariens (Springfield) von Sebastiano Ricci heraus.
Der Katalog verfügt auch, vom sehr informativen und gut kommentierten Bildteil abgesehen, über einige vorzügliche Übersichtsaufsätze. Pamela M. Jones analysiert die Ikonographie des Karl Borromäus in Mailand und Rom. Sheila Barker erforscht Pestdarstellungen im Rom der Frühen Neuzeit. James Clifton ordnet die Pestbilder in Neapel rund um die Katastrophe von 1656, während Andrew Hopkins einige barocke Darstellungen der Seuche in Venedig (weit über den legendären Katalog "Venezia e la Peste" von 1979 hinaus) untersucht. Gauvin Bailey bewegt sich dagegen auf Van Dycks Spuren in Palermo und präsentiert wichtige Einzelheiten zur sizilianischen Pest von 1624. Dass, nicht nur im einführenden Übersichtsartikel von Franco Mormando, die deutschsprachige Fachliteratur, sowohl kunst- wie medizinhistorisch, nicht oder nur völlig marginal berücksichtigt bzw., wie es scheint, nur in den jeweiligen Bibliografien nach dem Zufallsprinzip zitiert wird, ist bedauerlich.
Die Lektüre des Katalogs ist dennoch für jeden empfehlenswert, der sich mit der delikaten, aber faszinierenden Beziehung von Kunst- und Pestgeschichte auseinander setzen möchte. Ob man auch in Europa eine solche Ausstellung zur Pestgeschichte auf den Weg bringen könnte? Die venezianische Ausstellung von 1979 wartet zweifellos auf Nachfolgeveranstaltungen! Die Wolfenbütteler Ausstellung von 2005 (vgl. Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 84) beschränkte sich, was die Kunstgeschichte betraf, naturgemäß auf Buchillustrationen und einige kleinere Werke. Was in Europa fehlt, ist eine große Kunstausstellung zu diesem Thema. Die Amerikaner haben hier ein stimulierendes Beispiel gegeben. Kaum ein Sujet könnte jedenfalls die verschiedenen Diskurse der historischen Wissenschaften sinnvoller vereinen. Und Seuchen, das melden nun leider die Bakteriologen und Virologen, werden die Menschheit auch künftig begleiten!
Anmerkungen:
[1] Martin Dinges (Hg.): Neue Wege in der Seuchengeschichte, Stuttgart 1995.
[2] Francis Haskell: History of its images. Art and the interpretation of the past, New Haven 1993.
[3] Klaus Bergdolt: Die Pest, München 2006.
Klaus Bergdolt