Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Wien: Zsolnay Verlag 2006, 175 S., ISBN 978-3-552-05382-3, EUR 17,90
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Wer in dem Umbau der Universität, der gegenwärtig in Deutschland und Österreich durchgesetzt wird, ausschließlich den Untergang einer altehrwürdigen Institution sieht, dem schenkt Liessmann einige wehmütige Stunden genussvoller Lektüre, aber ohne Trost. Wer meint, die Universität muss sich ändern, weil sie nicht für den immer noch steigenden Strom von Studierwilligen geschaffen worden ist, die Abbruchbirne jedoch nicht für ein geeignetes Renovierungswerkzeug hält, findet kluge Gedanken, was erhalten oder wiederhergestellt werden sollte, wenn die Universität Forschung und Lehre weiterhin verbinden will. Wer hingegen auf der Seite der Abbruchunternehmer steht, also fast alle Wissenschaftspolitiker und wohl die meisten Wissenschaftsmanager in den Universitäten und außerhalb, wird sich, sofern er die Lektüre durchhält, in seiner Überzeugung bestätigt fühlen, nicht auf die Professoren hören zu dürfen, weil sie reformunwillig der untergegangenen 'guten alten Zeit' nachtrauern.
"Bildung hatte einst mit dem Anspruch zu tun, die vermeintlichen Gewissheiten einer Zeit ihres illusionären Charakters zu überführen. Eine Gesellschaft, die im Namen vermeintlicher Effizienz und geblendet von der Vorstellung, alles der Kontrolle des ökonomischen Blicks unterwerfen zu können, die Freiheit des Denkens beschneidet und sich damit die Möglichkeit nimmt, Illusionen als solche zu erkennen, hat sich der Unbildung verschrieben, wieviel an Wissen sich in ihren Speichern auch angesammelt haben mag" (175). Mit diesen Sätzen endet der Narrenspiegel, den der Wiener Philosophieprofessor, 2006 zu Österreichs "Wissenschaftler des Jahres" gewählt, der deutschen und österreichischen Gesellschaft vorhält. "Schluss mit der Bildungsreform" (159) ist das Schlusskapitel überschrieben. Reform als Selbstzweck - "eine einzige gigantische Worthülse ohne jeden Inhalt" (162), die Wiederkehr "Leo Trotzkis Phantasma der permanenten Revolution als neoliberale Karikatur" (170), verhüllt im Reformmantel, unter dem die Wissensgesellschaft sich in eine "Kontrollgesellschaft" verwandelt, die "Herrschaft durch Selbststeuerung" (173) erreicht.
Auf dieses dunkle Schlussbild streben die 9 Kapitel zu, in denen Liessmann erläutert, warum er in der "Wissensgesellschaft" der Gegenwart ein Regiment der Unbildung sieht - ein "Umgang mit Wissen jenseits jeder Idee von Bildung" (10). Weil Wissen nur noch als Information diene, nicht aber als Möglichkeit zur "Durchdringung der Welt" (29), indem man erkennt und begreift, entstehe eine mit Informationen vollgestopfte "Desinformationsgesellschaft" (28). An den Quizshows im Fernsehen diagnostiziert er die "Abwesenheit jeder normativen Idee von Bildung" (9) ebenso wie an der "Verabschiedung der europäischen Universitätsidee" (104) unter dem Namen Bologna oder am "Wahn der Rangliste" (74), den er an den PISA-Studien und den Evaluierungs- und Exzellenzoffensiven, denen sich die Universitäten zu stellen haben, vorführt.
Die Wissensgesellschaft löst keineswegs die Industriegesellschaft ab, sondern industrialisiert das Wissen. Wilhelm von Humboldts idealer Gelehrte, der in "Einsamkeit und Freiheit" forscht, habe dem "individualisierten Handwerk" (41) entsprochen. Der "Wissensarbeiter" der Zukunftsuniversität hingegen sei der "Phänotyp eines Wandels, der nicht dem Prinzip des Wissens, sondern dem der industriellen Arbeit gehorcht" (42f.). Bildung als das "Programm der Menschwerdung durch die geistige Arbeit an sich und an der Welt" (59) müsse einer Gesellschaft, die nur auf Effizienz schaue, fremd sein. Das "Wissen der Wissensgesellschaft" verzichte auf alles, was humanistische Bildung einmal gewesen sei. Das Ergebnis: "die selbstbewusst gewordene Bildungslosigkeit" (73).
Wenn Liessmann über die "Entmündigung der Universität im Namen ihrer Autonomie" und von "geistiger Selbststrangulierung" (157), über "schleichende Transformation von freier Wissenschaft in ein unfreies Dienstleistungsgewerbe" (91) oder die Skurrilitäten sich überschlagender Reform-Reformen berichtet, dann weiß er, woran er verzweifelt. Als "Studienprogrammleiter" an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften der Universität Wien unterzeichnet er die Studienabschlüsse, je nach Studienbeginn des Studierenden, als Präses, Studienkommissionsvorsitzender, Studiendekan, Vizestudiendekanin (falls kein Schreibfehler wohl aus der Phase höchster political correctness) oder Studienprogrammleiter (170). Wenn eine Reform kaum ein Jahr übersteht, ist der Notschrei "Schluss mit der Bildungsreform" verständlich. Aber zeigt er einen Ausweg?
Das Buch steckt voller kluger Beobachtungen und scharfzüngiger Polemik über die "Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs" (140), dem "die Idee der Bildung des Menschen" (141) abhanden gekommen sei und der "nur einen wirklichen Feind" kenne: "den unabhängig forschen Geist" (109) - unerwünscht in einer Zeit, die "Sklavenseelen" (103) für die Projektarbeit in den "Produktionsbrigaden" (42) brauche. Wem Klage und Anklage jedoch nicht reichen, findet in diesem Buch nichts - außer den Appell zur Rückkehr. Aber Rückkehr wohin? Die soziale Grundlage für die humanistische Bildung - "eine andere gibt es nicht" (57) - sei mit dem Bildungsbürgertum erodiert, einen gesellschaftlichen Widerpart zum "Projekt der Gegenaufklärung" (142) in der vermeintlichen Wissensgesellschaft gebe es nicht.
Dass man diese Diagnose als hilflosen "Kulturpessimismus" lesen kann (174), weiß der Autor. Deshalb baut er vor. Ihn so zu verstehen ist nicht erlaubt. Wer zweifelt, ob das Verfallsbild die ganze Geschichte ist, wird auf die Seite der Unbildung gestellt, den "Phrasen der neuen Marktreligion" (175) verfallen. "Das Prinzip der performativen Selbstimmunisierung" (90), das Liessmann mit Recht denen zuschreibt, die vor lauter Reformbeschleunigung nicht mehr zu denken vermögen, beherrscht er selbst trefflich.
Dieter Langewiesche