Nagib Machfus: Karnak-Café. Übersetzt von Doris Kilias, Zürich: Unionsverlag 2009, 127 S., ISBN 978-3-293-00400-9, EUR 14,90
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Zwar mag der Leser sich fragen, ob eine Erzählung des Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus in den Geschichtswissenschaften Platz finden sollte. Jedoch wird er nach dem Stöbern in diesem Band keinen Zweifel mehr hegen, dass es sich um historische Literatur im besten Sinne des Wortes handelt. Sie erhellt die Epoche des Arabischen Sozialismus mit ihren Problemen, die weit über die moderne Geschichte Ägyptens hinaus gehen. Das Werk erreicht eine große Leserschaft mit einer bedeutenden Botschaft. Gute Argumente, die es als nützlich erscheinen lassen, das Buch "Karnak-Café" in diesem Forum darzutun.
Gern lernt der Leser eine reizende Dame im Café des Meisters kennen. Allein schon ihr Name ist schön, denn Kurunfula erinnert an eine Nelke, Qaranfula. Ihr Esprit geht noch auf die ägyptische Blütezeit kurz vor den vierziger Jahren zurück als sie am Nil zu einem Star aufstieg. Der Erzähler gesteht ein, dass sie sein rosaroter Traum war und dass sie den Bauchtanz modernisiert habe. Wer lässt sich da nicht in Kairos Karnak-Café nieder?
Sie sitzt an der Kasse, strahlt Energie und Vitalität aus. Ihr gehört das Gasthaus, wo sich alt und jung treffen. Mitten in der summenden Stadt, eine Oase, in der sich gestern und heute verbinden, gleichwohl vorgestellt in der Besitzerin. Natürlich ist dort alles höchst geschmackvoll eingerichtet mit allerhand bunten Lampen und vielen Spiegeln, mit einer einladenden Bar und blitzenden Gläsern (Städter folgten damals in Ägypten weniger den islamischen Speise- und Trinkvorschriften, denn europäisch sein galt wieder als modern).
Nichts entgeht dem Meister. Er beschreibt ein dynamisches Beziehungsnetz, in dessen Mitte die lebenslustige Frau webt. Da ist Arif Sulaiman, der Barkeeper. Noch immer liebt er sie, obzwar er mittlerweile ein verheirateter Vater von sieben Töchtern ist. Ab und an werfen sie sich heimlich Kusshände zu, erzählt die Inhaberin lachend. So erfährt nun auch der Leser um die Schicksale der Stammgäste, ja er wird ein Teil der Familie im Karnak-Café.
Freilich schwelgen die Jungen dort nicht im Gestern. Sie nennen sich stolz "Kinder der Revolution" von 1952, als Offiziere den probritischen König Faruq gestürzt und das Land der Pyramiden von den übrigen kolonialen Fesseln befreit haben. Auch die Inhaberin meint Gott zu danken, "dass er uns die Revolution beschert hat." Alle dort in der Mahdi-Strasse singen lauthals Loblieder, sogar der Kellner Imam sowie der Schuhputzer Guma.
Kritische Bemerkungen, die meistens von Linken und Muslimbrüdern nur im Flüsterton kommen, gehen, sagt der Meister, im allgemeinen Sturm der Begeisterung unter. Nicht einmal Neider und Nörgler können sich dem Rausch entziehen. Was nutze denn, fordert er den Leser heraus, Kritik, wenn man von Betrunkenen umgeben sei? Solle man denen wohl von Bestechung, Zwang und Terror erzählen, nur um zu hören, dass es immer Übel gebe? "Also trink lieber ein Schluck aus dem Zauberglas und tanze mit ihnen." Wirklich?
Die Tage der fröhlichen Runde sind gezählt. Plötzlich fehlen die jungen Leute. Kurunfula befallen viele Fragen, zumal sie und der junge Hilmi Hamada ein zartes Band verknüpft. Gealtert tauchen die Jungen wieder auf, nur um dann wieder zu verschwinden. Nach dem dritten Mal ist Hilmi tot. Diese Revolution frisst ihre Kinder. Khalids Safwans Leute von der Staatssicherheit foltern die Kommunisten, Sozialisten, Islamisten; und sie entehren die schöne Zainab, die zum Kreis der regelmäßigen Besucher des Karnak-Cafés gehört.
Als Kairo noch den Krieg mit Israel 1967 verliert, stürzt das revolutionäre Kartenhaus zusammen. Es reisst nicht nur viele in den Tod, sondern alles kommt abendlich qualvoll an das Licht des Karnak-Cafés. Die am Nil den Arabischen Sozialismus propagieren, haben eine Mauer aus Lügen über den Kriegsverlauf und das Leben am Nil errichtet. Dennoch gehen tausende auf die Straße und fordern den Führer in sein Präsidialamt zurück. Erste drakonische Schritte folgen und eine wilde Suche nach den Schuldigen.
Was Wunder, jetzt taucht der abgesetzte Folterer im Karnak-Café auf. Alle wollen Khalid loswerden. Ungebeten erzählt er. Die Wut verraucht. Er beginnt, zur Runde zu gehören. Da verkündet er diese unglaubliche, nach wie vor aktuelle Botschaft um den verlorenen Krieg, die fehlende Demokratie und den versagenden Arabischen Sozialismus:
*Begib dich niemals auf den Irrweg von Willkür und Diktatur;
*Schwöre allem Blutvergießen ab;
*Fortschritt kommt nur mit Werten wie Freiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung und Respektierung der Menschenwürde;
*Unabdingbar ist es, sich in Wissenschaft und Forschung an der westlichen Zivilisation zu orientieren und als Voraussetzung dafür eine kritische Sicht auf die eigene Realität zu entwickeln, weil es nur so eine Befreiung von alten oder neuen Fesseln gibt (115).
Die bitter enttäuschte Kurunfula stürzt sich in eine neue Liebe. Hoffentlich eine, meint der Meister, voller Unschuld und Reinheit, also möglichst ohne politische Angriffsfläche.
Unvermutet stirbt Abd an-Nasir 1970. Nach ihm wird Anwar as-Sadat Präsident. Aber erst 1974 erscheint "Karnak-Café" am Nil. Es sorgt für hitzige Debatten. Doch das feine Gewebe der Beziehungen ist unwiederbringlich dahin. Trifft Khalids Botschaft auf offene Ohren? Bei Radikalen nicht, denn sie ermorden 1981 as-Sadat. Wieder schreibt Machfus einen Roman, Yaum Qutila az-Za'im oder "Der letzte Tag des Präsidenten" (Unionsverlag 2001). Darin erhellt er, wie ein junger Mann aus sozialer Alltagsnot zu einem Terroristen werden könnte, aber dennoch nicht wird. Danach versuchen die Islamisten, den greisen Romancier selbst zu erstechen. Zum Glück verwunden sie ihn "nur". Geblieben ist seine fesselnde Erinnerung an die Geschichte im Karnak-Café, dessen Gäste doch die Ägypter symbolisieren. Es ist ein besinnliches Buch. Dennoch strahlend, halt typisch Machfus.
Im hilfreichen Nachwort weist Roger Allen darauf hin, dass dieses Manuskript nicht ganz vollständig sein könnte und dass es nicht bekannt sei, ob die Kürzungen auf die Zensur oder auf den Autor zurückgehen. Auch dies ist ein Feld für die historische Forschung.
Wolfgang G. Schwanitz