Christoph Kampmann / Katharina Krause / Eva-Bettina Krems u.a. (Hgg.): Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 285 S., ISBN 978-3-412-20614-7, EUR 42,90
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"Die Frühe Neuzeit war eine traditionsorientierte Epoche, in der das Alte grundsätzlich weit höhere Dignität als das Neue besaß", heißt es in der Einleitung des hier vorzustellenden Sammelbandes (7). Sechzehn Autoren widmen sich in ihm der Frage nach Traditionsbrüchen und Innovationen mittels unterschiedlicher Beispiele aus verschiedenen Regionen. Zunächst klärt Wolf-Friedrich Schäufele die Bedeutung der Begriffe "alt" und "neu" in der Frühen Neuzeit. Seit der Antike herrschte der Gedanke der biologischen Alterung der Welt. Mit der Ersetzung der älteren Geschichtsmodelle von Verfall und Kreislauf durch die aufklärerische Fortschrittsidee wurde die vorherige Bewertung von "alt" und "neu" in ihr Gegenteil verkehrt. Aber noch Luther beharrte darauf, dass seine Konfession die wahre alte Kirche repräsentiere, weil eben altes Recht neues Recht brach. Die Verlegenheit gegenüber dem Neuen führte zum Ersatzbegriff des Modernen. Die Querelle des Anciens et des Modernes war nur noch ein Nachzugsgefecht.
Anuschka Tischer untersucht die Reichsreform von 1495, aus der "ein qualitativ neues Reich" hervorging. Der Wormser Reichstag "katapultierte das Reich" vom Mittelalter in die Neuzeit (38). Doch bildete sich die Staatlichkeit nicht im selben Maße aus wie in benachbarten Reichen. Frankreich etwa war weniger Vorbild als abschreckendes Beispiel. Eine einheitliche ständische Reformpolitik gab es nicht.
Ob die erste reformatorische Hochschulgründung, Marburg 1527, als neues Universitätsmodell anzusehen sei, fragt Wilhelm Ernst Winterhager. Erstmals wurde eine Universität ohne Zustimmung Roms errichtet. Die "Verstaatlichung" rettete sie vor den hessischen Taliban des 16. Jahrhunderts, die sämtliche Wissenschaften ihrem Urteil unterwerfen wollten.
Riesenholzschnitte des 16. Jahrhunderts untersucht Thomas Schauerte. Die Genealogie wurde zur Veranlassung einer neuen Gattung, Größe zum Argument. Der Beitrag könnte, wie einige andere, als origineller Reiseführer dienen. Was einst "dynastische Überwältigungsästhetik" (83) war, wurde zur Kuriosität. "In der Frühen Neuzeit verkörperte ein Schloss neben der Kirche die höchste Form architektonischer Repräsentation von politischer wie gesellschaftlicher Macht" (86). So untersucht Matthias Müller Schloss Albrechtsburg bei Meißen als Ausdruck eines neuen Fürstenbildes im Alten Reich um 1500, Ulrich Schütte die Landshuter Stadtresidenz als neues Modell am falschen Ort. Baumeister und Künstler arbeiteten den Intentionen ihrer fürstlichen Auftraggeber entgegen. Wahrscheinlich fehlte der Stadtresidenz die Distanz zu den Blicken der Städter um sich zu etablieren.
Ulrich Niggemann schildert fußnotengesättigt, wie James Harrington 1656 ein neues Staatsmodell für die englische Republik herbei schrieb und damit nachträglich Revolution und Königsmord rechtfertigte. Von Harrington stammt das Theorem, dass die Staatsform von den Besitzverhältnissen abhängt.
Selbstinszenierung, Wandel des Herrscherinnenbildes zwischen Integration, Polarisation und Rezeption am Beispiel Elisabeths I. skizziert Kerstin Weiand und zeigt dabei, dass sich das positive Elisabethbild erst gegen Ende der Herrschaft ihres Nachfolgers Jakob I. durchsetzte. Eine unverheiratete kinderlose Frau galt zunächst keineswegs als Idealbesetzung für den Thron. Cromwells New Model Army erscheint, nachdem sich Jürgen Luh ihrer angenommen hat, gar nicht mehr so neu. Die Erfindung des Boulevards als Folge der Entfestung im Paris Ludwigs XIV. präsentiert Katharina Krause. . Die unbefestigte Kapitale "war ein starkes Zeichen für die Sicherheit des Landes" (170).
Über die Natürlichkeit in der französischen Gartenkunst des frühen 18. Jahrhunderts referiert Iris Lauterbach. Das Verhältnis zwischen Kunst und Natur ist der Basso continuo aller Schriften zur Gartenkunst. Schon ein halbes Jahrhundert vor Winkelmanns "edle Einfalt und stille Größe" wurde hier "noble simplicité", Natürlichkeit, gefordert (178).
Lothar Schilling fragt, ob der Absolutismus je ein neues Modell gewesen sei und stellt Überlegungen zur Erforschung absolutistischer Repräsentationen an. Das zuletzt oft wiederholte Argument, der Absolutismus sei ein Mythos ist nicht unberechtigt. Naiv wäre es jedoch ihm eine "mythos- und propagandalose politische 'Wirklichkeit' gegenüber stellen zu wollen" (197). Die absolutistischen "Repräsentationen boten in der Regel keine unmittelbar umsetzbaren Pläne zur Umgestaltung der politischen Wirklichkeit, sondern begründeten symbolische Ansprüche und lieferten Deutungsangebote" (199).
Hochspannend berichtet Christoph Kampmann von einem kaiserlichen coup d´état mit zunächst offenem Ausgang und entfaltet das Maßnahmenportfolio, mit dem Leopold I. 1688 bis 1690 Reich und Kaisertum neu zu positionieren suchte. "Sicherheit statt Libertät" charakterisierte das neue Modell des Reiches (233).
Ada Raev interessiert sich für Ideal und Verkörperung der Aufklärung am Beispiel von St. Petersburg im 18. Jahrhundert. Eine unübersehbare Neuerung war die Versteinerung der russischen Metropolen. 1762 trat die "Kommission für Steinbau St. Petersburgs und Moskaus" ins Leben. Im Kontext der Reiterstandbilder Peters I. von Rastrelli und, kühner, von Falconet, bietet Raev eine Kulturgeschichte des Reiterstandbildes. Die weitgehend von italienischen Baumeistern in Stein erneuerten Metropolen wurden zur rationalistischen Verkörperung imperialer Herrschaft. Der Mystizismus des italienischen Barock blieb ihnen fremd. Francesco Algarotti besuchte St. Petersburg 1739. Von ihm stammte die vielzitierte Metapher des "Fensters nach Europa", aber auch eine weniger schmeichelhafte Beurteilung: "In dieser Hauptstadt herrscht eine Art Bastardarchitektur vor. Man stiehlt von der italienischen, der französischen und der holländischen." (243) Als ob der kluge Mann nicht wusste, dass Hochkultur immer eine Folge transnationaler Rezeptionsprozesse ist.
In Nancy hingegen schuf Stanislas I. Leszczynski ein einmaliges Platzgefüge, dem jedoch eine mit seiner Person verbundene höhere Idee fehlte. Eva-Bettina Krems thematisiert die grundsätzliche Schwierigkeit monarchische "Herrschaft" im Exil darzustellen. Eine "Herrschaft", die dadurch geprägt war, dass die wichtigsten Minister von einem auswärtigen Monarchen, dem französischen König eingesetzt wurden. Lunéville ein Schloss und Stanislaus einen König "ohne Vergangenheit" zu nennen (255, 259), erscheint diskussionswürdig, war es doch gerade der Zwang zur Überschreibung der Vergangenheit, welcher die Innovation erzwang. Herrschaftsinszenierung ist immer auch Geschichtspolitik und macht alles Vorhandene zum Palimpsest.
Hochaktuell erscheint leider der abschließende Beitrag von Hans-Jürgen Bömelburg: "Die Teilungen Polen-Litauens. Ein neues Modell der europäischen Außenpolitik". Zu Recht betont er in Anschluss an Karl Otmar von Aretin (†), dass die Ursachen der polnischen Tragödie nicht zuletzt in der Kompensationsideologie der Großmächte lagen.
Insgesamt zeigt sich die Frühe Neuzeit im Spiegel dieses Sammelbandes als Zeit zunehmender Dignität des Neuen. Anfänglich waren Neuerungen in der Regel noch camoufliert, später zunehmend offen gefordert und begrüßt. Das Übermaß der Aufklärung und der der Revolution - hier in Form von Ländertausch und -teilung - gab am Ende dem Alten erneuten Wert.
Wolfgang Burgdorf