Sebastian Becker: Dynastische Politik und Legitimationsstrategien der della Rovere. Potenziale und Grenzen der Herzöge von Urbino (1508-1631) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 129), Berlin: De Gruyter 2015, XI + 415 S., ISBN 978-3-11-037680-7, EUR 109,95
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Am Ende stand das Ende. Nach dem Tod des letzten Della Rovere-Herzogs Francesco Maria II. am 23. April 1631 fiel das kleine mittelitalienische Herzogtum zurück an den Kirchenstaat und verlor nach 123 Jahren seine Unabhängigkeit. Es teilte damit ein Schicksal, das im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts eine ganze Reihe kleinerer Fürstentümer in Ober- und Mittelitalien ereilte. Ihre Schwäche war strukturell bedingt. Gegenüber den europäischen Großmächten, denen eine langsam an Effizienz gewinnende Bürokratie den Zugriff auf überlegene wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen gestattete, gerieten die Herzöge von Urbino, wie diejenigen von Mantua und Modena, wie die Medici in Florenz oder die Farnese in Parma und Piacenza immer mehr ins Hintertreffen. Schließlich starb die Herrscherfamilie im Mannesstamm aus, und mit den Souveränen erlosch auch die Souveränität.
Sebastian Beckers gründliche und umfangreiche Studie richtet den Blick jedoch weniger auf das Ende (auch wenn sie dieses naturgemäß nicht ausblenden kann), sondern bemüht sich darum, die Handlungsmöglichkeiten einer "mindermächtigen" Dynastie wie der della Rovere auszuleuchten. Sie tut dies, indem sie das in letzter Zeit von Seiten der kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung vielfach aufgenommene Bourdieu'sche Konzept verschiedener Kapitalformen aufgreift und nach der Konvertierbarkeit von "sozialem" und "kulturellem" in "politisches" Kapital fragt. Nach einer ausführlichen Einleitung, die über Forschungsgegenstand, die erkenntnisleitende Fragestellung sowie Quellen- und Literaturbasis informiert, sind es dementsprechend zwei große inhaltliche Blöcke, in welche die Arbeit zerfällt: zum einen die Heiratspolitik, zum anderen die Kunst- und Kulturpatronage der della Rovere.
Die Heiratspolitik der della Rovere war überschattet von den geradezu traumatischen Erfahrungen, die der zweite Herzog dieses Hauses, Guidobaldo II., machen musste, nachdem er im Jahr 1536 gegen heftigen päpstlichen Widerstand mit Giulia Varano die zum Zeitpunkt der Eheschließung noch minderjährige Erbin des kleinen, Urbino benachbarten Herzogtum Camerino geheiratet hatte. Die Päpste beanspruchten nämlich als Lehnsherren die Herrschaft über Camerino, und Guidobaldo II. musste in erbitterten und letztlich erfolglosen Kämpfen um das Erbe seiner ersten Frau feststellen, was auch viele andere mittelitalienische Adelsfamilien im Laufe des 16. Jahrhunderts zu spüren bekamen: dass gegen die Päpste in Rom nichts mehr, und ohne sie wenig ging. So nimmt es denn nicht wunder, dass Guidobaldo II. nach dem Tod seiner ersten Gattin sich 1548 durch die Heirat mit Vittoria Farnese mit eben jener Familie Pauls III. (1534-1549) verband, mit dem er zuvor über Jahre hinweg um Camerino gerungen hatte. Die den Heiraten vorausgehenden Verhandlungen beschreibt der Autor so akribisch, wie er die aus ihnen entspringenden Handlungsoptionen untersucht. "Sie zeigen, dass die Aufnahme in die Familie des Papstes keineswegs einen Freifahrschein bedeutete, mit dem er ohne Widerstände alle seine Ziele hätte durchsetzen können. [...] Deutlich wird, dass der Einsatz sozialen Kapitals die Handlungsspielräume eines kleinen Fürsten nicht unbegrenzt vergrößern konnte." (159)
Um die "Erweiterung von Handlungsspielräumen" ging es auch bei ersten Ehe von Guidobaldos Sohn, Francesco Maria II. mit Lucrezia d'Este, durch die der politische Schulterschluss mit den Herzögen von Modena gesucht wurde. Wie so oft, triumphierte auch in diesem Fall die Staatsräson über persönliche Neigungen, wie Francesco Maria in seinen "Erinnerungen" konstatierte: "(...) beschloss sein Vater schließlich, eine Ehe zwischen ihm und Donna Lucrezia d'Este, Schwester des Herzogs von Ferrara, zu schließen. Dies geschah zum Widerwillen Francesco Marias, denn die Prinzessin war so alt, dass sie seine Mutter hätte sein können." (197) Nun waren dynastische Eheverbindungen im Ancien Régime bekanntlich stets Haupt- und Staatsaktionen, bei denen die individuellen Neigungen der Beteiligten in den seltensten Fällen eine Rolle spielten. Dennoch lässt die lakonische Bemerkung des letzten Herzogs von Urbino aufhorchen, bietet sie doch einen Ansatzpunkt zum Verständnis der verfallenden Vitalität vieler italienischer Fürstenfamilien: der Zwang zu politischen Rücksichtnahmen dominierte sogar die sonst so wichtige Rücksichtnahme auf Reproduktionsaussichten.
Nicht anders als die Heiratspolitik stellte auch die Kunst- und Kulturpatronage ein zentrales Gebiet frühneuzeitlichen Herrscherhandelns dar. Dieser Sachverhalt ist seit längerem bekannt, wie dem Autor bewusst ist, wenn er seine den zweiten Hauptteil der Studie einleitenden Ausführungen mit der Bemerkung beschließt: "Die Auswahl der Untersuchungsgegenstände mag gegenüber der bisherigen Dynastieforschung nur bedingt innovativ wirken, ist aber angesichts des verfolgten Ansatzes nicht zuletzt auf Grund der Überlieferungssituation fruchtbar." (220) Behandelt werden dann im Einzelnen die Bereiche Genealogie, Titel- und Präzedenzstreitigkeiten, Bauten, Feste sowie im Epilog die "Memorialpolitik" Francesco Marias II. della Rovere. Dass in diesen Zusammenhängen der bedeutendste unter den Urbinatischen Hofkünstlern des 16. Jahrhunderts, Federico Barocci, über dessen Stellung am Hofe von Urbino die Künstler-Viten Giovanni Pietro Belloris so überaus aussagekräftige Beobachtungen enthalten, nur ein einziges Mal erwähnt wird, überrascht ein wenig; wie auch ein Blick zurück auf die zahlreichen Grabmalstiftungen der Rovere in Rom um 1500 und zumal das in Jahrzehnte währenden Kämpfen entstandene Julius-Grabmal Michelangelos den Blick auf die langfristigen Zusammenhänge der Erinnerungspolitik des Hauses geschärft hätte.
Dessen ungeachtet kommt der Autor auch im Zusammenhang der Kulturförderung zu dem Ergebnis, dass die hier schlummernden Gestaltungspotentiale bewusst eingesetzt wurden: "Der Blick auf eine gegenüber vormaligen Untersuchungen vergrößerte Ressourcenausstattung 'kleiner' Dynastien zeigte aber, dass selbige nicht gänzlich über das Distinktionsmerkmal 'Größe' hinwegtäuschen darf." (361) Angesichts mächtiger Nachbarn konnte "eine Dynastie zwar das ihr zur Verfügung stehende Kapital in die Waagschale werfen [...], um ihre Interessen gegenüber Dritten zu wahren oder den von ihr beanspruchten Rang offensiv einzufordern: Ein Erfolg aber war keineswegs garantiert."
Arne Karsten