Peter Pirker: Codename Brooklyn. Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945. Mit einem Fotoessay von Markus Jenewein, Innsburck: Tyrolia-Verlag 2019, 367 S., 122 s/w-Abb., 16 Kt., ISBN 978-3-7022-3756-1, EUR 29,95
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Es gilt als eines der erfolgreichsten Unternehmen des US-Geheimdiensts Office of Strategic Services (OSS) während des Zweiten Weltkriegs: Operation Greenup. Deren "spektakuläre" Qualität soll sogar Quentin Tarantino zu seinem Kinofilm "Inglourious Basterds" (2009) mitinspiriert haben. In der hier zu besprechenden Monografie zeichnet der österreichische Historiker Peter Pirker Operation Greenup detailgetreu und auf Basis umfassender Quellenrecherchen in US-amerikanischen, deutschen und österreichischen Archiven und sowie in privaten Nachlässen nach. Pirker hat sich bereits mit den subversiven Aktivitäten des britischen Geheimdiensts in Österreich beschäftigt. [1] Nun erzählt er eine packende Geschichte über den Widerstand in Tirol während der letzten Phase der NS-Herrschaft. Die Erinnerung daran war rasch vom Mythos einer "eigenständigen Befreiung" überlagert worden. (20) Die Operation Greenup wurde somit "lange und ausschließlich" in den USA tradiert [2] und im deutschsprachigen Raum "kaum zur Kenntnis" genommen. (12) Alles in allem handelt es sich daher um ein verdienstvolles Buch, dass eine Leerstelle jenseits der eingefahrenen "Geschichtsschemen der Zweiten Republik" füllt. (16)
Ein Leitmotiv ist die Verknüpfung lokaler und globaler Perspektiven eines transnationalen Befreiungskampfes. Die Hauptprotagonisten sind Fred Mayer und Hans Wijnberg, zwei junge Juden aus Deutschland und den Niederlanden, die noch rechtzeitig in die USA emigrieren konnten und sich freiwillig meldeten. Ende 1942 wurden sie in das OSS aufgenommen, das selbst erst eineinhalb Jahre bestand. Mayer sagte später: "Ich wollte Nazis töten. Das war die Motivation für uns jüdische Jungs." (57)
Die Chance dazu ergab sich Ende 1944, als das OSS im süditalienischen Bari die Operation Greenup plante. Diese startete verspätet mit der Fallschirmlandung des Agententeams am 26. Februar 1945 auf einer Gletscherzunge in den Stubaier Alpen. Hauptziel war es, Informationen über den Schienenverkehr auf der Brenner-Bahnstrecke zu sammeln, "der entscheidenden Ost-West und Nord-Süd-Verbindungslinie für die deutsche Wehrmacht" (153). Innsbruck, "Gauhauptstadt" des "Reichsgaus Tirol-Vorarlberg", war der wichtigste Verkehrsknotenpunkt an dieser Strecke und wurde mit dem Codenamen "Brooklyn" bezeichnet, was sich auch im Titel von Pirkers Monografie wiederfindet.
Ein Großteil der mehr als 60 Funksendungen Wijnbergs nach Bari betraf Bombardierungsziele wie den Eisenbahnverkehr, Truppenbewegungen, die Position von Luftabwehrstellungen, militärischen Lagern und Depots. Weiterhin ging es darum, den Hintergrund damals kursierender Gerüchte über eine "Alpenfestung" aufzuklären. Hier trugen die Agenten zu einer realistischen Einschätzung auf alliierter Seite bei. Sie stellten fest, dass die Nachschublinien in die Alpenregion nicht mehr funktionierten, was Befürchtungen relativierte, das NS-Regime könnte dort einen "funktionsfähigen Rückzugsraum" aufbauen (177).
Operation Greenup war ein riskanter Einsatz. Zuvor hatten ähnliche Operationen der alliierten Geheimdienste in Österreich kaum Erfolge gebracht. Gründe dafür waren fehlender Widerstandswille und das Ausbleiben von Anzeichen oder Nachrichten über existierende Widerstandgruppen. Pirker macht deutlich, dass Operation Greenup nur deswegen funktionieren konnte, weil mehrere günstige Faktoren zusammenkamen: Mit dem 1944 desertierten Wehrmachtsoffizier Franz Weber zählte ein Einheimischer zum Agententeam. Er stellte die kritisch-wichtigen Anfangskontakte in seinem Heimatdorf Oberperfuss bei Innsbruck her. Diese Ortschaft war ein ideales "Agentennest", weil dort der Nationalsozialismus schlecht verankert war (99). So hatte es in dem katholisch geprägten Ort auch keine Opfer der NS-Medizinverbrechen gegeben. Im Gegenzug versprach das Greenup-Team, dass ein in der Nähe von Oberperfuss gelegenes Messerschmitt-Werk nicht bombardiert werden würde, und es hielt Wort. Vor allem zahlreiche Frauen bildeten in verschiedenen Rollen, u. a. als Quartiergeberinnen, Kontaktherstellerinnen, Kurierinnen, das "operative Rückgrat" des ganzen Unternehmens (311). Mayer selbst hat einmal über die Frauen von Oberperfuss gesagt: "Die Einzigen, denen man wirklich trauen konnte, waren die Frauen, die waren stur wie Eisen." (30)
Im April 1945 baute Mayer außerdem ein weitverzweigtes Netzwerk an Kontakten hin zu Regimegegnern bis in die Reihen der Schutzpolizei in Innsbruck auf. Dem Plan, den Widerstand zu bewaffnen und eine Nahkampfverteidigung der Stadt gegen alliierte Truppen zu verhindern, kam aber eine Verhaftungsaktion der Gestapo zuvor. Mayer wurde brutal gefoltert. Doch eine opportunistisch motivierte Intervention des NSDAP-Kreisleiters Max Primps ermöglichte es Mayer, in Verhandlungen mit Gauleiter Franz Hofer einzutreten, die am 6. Mai 1945 zum kampflosen Einmarsch der US-Truppen in Innsbruck führten. Die Greenup-Agenten, so Pirkers Fazit, hatten das "schier Unmögliche geschafft: Aus dem Reich der Gestapo präzise Bombardierungsziele geliefert, lokale NS-Gegner organisiert, die Verfolgung und Folter überlebt, den Gauleiter und seinen Stab interniert, die US-Truppen kampflos nach Innsbruck geführt und damit das Leben vieler amerikanischer Soldaten gerettet." Das sei mehr gewesen, "als jede andere Agententruppe auf dem mediterranen Kriegsschauplatz geleistet hatte". (276)
Die subversive Tätigkeit des Greenup-Teams hatte außerdem zum Entstehen eines Machtvakuums beigetragen, das eine eilig formierte österreichische Widerstandsbewegung füllen konnte. An deren Spitze profilierte sich der spätere provisorische Landeshauptmann und Außenminister Karl Gruber als "Mann der Stunde". Solche "Konstruktionen des Widerstands" hätten sehr bald die Operation Greenup überlagert, so Pirker (276). Dabei habe erst die Initiative Mayers jene günstigen Bedingungen geschaffen, die es einheimischen NS-Gegnern und desertierten Wehrmachtsoffizieren erlaubten, symbolisch wichtige Gebäude in Innsbruck zu besetzen und den Befehl zum Begrüßen der US-amerikanischen Truppen zu geben. Ein besonders unrühmlicher Aspekt ist die Tatsache, dass die für die Folter Mayers und den Tod eines einheimischen Mitstreiters verantwortlichen Gestapo-Männer von der Nachkriegsjustiz in den 1950er Jahren entlastet wurden. Eine wichtige Rolle als Leumund spielte dabei ausgerechnet jener frühere Gestapo-V-Mann, der die Widerstandskämpfer um Mayer mutmaßlich verraten hatte. Möglicherweise war der Spitzel observiert worden. Denn an den Orten, wo er zwischen 15. März und 18. April 1945 aufgetaucht war, wurden kurze Zeit später die Verhaftungen vorgenommen.
Unter dem Strich ist "Codename Brooklyn" eine spannend zu lesende Fallstudie, die nicht zuletzt von einem anschaulichen Fotoessay von Markus Jenewein profitiert. Nachdem die Leistungen der Agenten von Operation Greenup, aber auch die Solidarität, die sie erfahren hatten, in Österreich jahrzehntelang kein Thema waren, handelt es sich um eine späte, dafür gründliche Würdigung.
Anmerkung:
[1] Peter Pirker: Subversion deutscher Herrschaft. Der britische Kriegsgeheimdienst SOE und Österreich, Göttingen 2012.
[2] Joseph E. Persico: Piercing the Reich. The Penetration of Nazi Germany by American Secret Agents During World War II, New York 1979; Patrick K. O' Donnell: They Dared Return. The True Story of Jewish Spies behind the Lines in Nazi Germany, Cambridge 2009.
Thomas Riegler