J. H. Elliott: Scots and Catalans. Union and Disunion, New Haven / London: Yale University Press 2018, XIV + 339 S., 3 Kt., 2 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-234954, USD 30,00
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J. H. Elliott, bis zur Emeritierung Regius Professor of Modern History in Oxford, vielfacher Ehrendoktor und Träger zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen, gehört zu den bedeutenden Historikern der Geschichte Spaniens in der Frühen Neuzeit, als dieser locker durch die Krone Kastiliens zusammengehaltene Staat das erste moderne europäische Weltreich schuf. Elliotts Ausgangspunkt war seine Anfang der 1960er Jahre vorgelegte Dissertation über die katalanische Revolte im Jahre 1640, als Kataloniens Ständeversammlung - letztlich erfolglos - die Unabhängigkeit von Kastilien proklamierte, dem es seit der Heirat von Ferdinand von Aragón mit Isabel von Kastilien im Jahre 1469 durch dynastische Union verbunden war, wenn auch - wie alle Teilreiche des so geschaffenen Spaniens - unter weitgehender Aufrechterhaltung der eigenen Institutionen. Zahlreiche Arbeiten Elliotts folgten, in denen Katalonien in den Hintergrund rückte gegenüber der Perspektive auf das Madrider Machtzentrum und dessen Innen- wie Außenpolitik, vor allem im 17. Jahrhundert.
Seit 2010 ist Katalonien erneut ein Konfliktherd geworden; nach Massenmobilisierungen und Wahlerfolgen versuchte 2017 die bis dahin eher marginale Unabhängigkeitsbewegung ein am spanischen Staat gescheitertes Unabhängigkeitsreferendum. Elliott hat dies zum Anlass genommen, die historische Dimension dieser Unabhängigkeitsbewegung auszuleuchten. Er macht das nicht, wie zahlreiche prominente Historiker in den letzten Jahren [1], nur in einem zeitlichen Abriss von den Ursprüngen im Mittelalter als bedeutende mittelmeerische Macht bis heute, unter dem Blickwinkel der dabei jeweils existierenden Verflechtungen mit dem gesamtspanischen Staat. Elliott unternimmt vielmehr eine historische Gegenüberstellung, indem er einen Vergleich mit einem ähnlich gelagerten Fall einer Unabhängigkeitsbewegung in Europa heranzieht. Auch Schottland entstand im Mittelalter als unabhängiger Staat, der sich zeitweise blutig gegen Eroberungsansprüche aus dem Süden der britischen Insel verteidigen musste, bis es 1707 dann doch zum Zusammenschluss mit England kam. Sie erfolgte allerdings nicht qua Personalunion, die es bereits ab 1603 gab, sondern in Form einer vollwertigen staatlichen Verbindung (mit Bewahrung bestimmter eigener Rechte Schottlands) "by Act of Parliament", in Westminster wie in Edinburgh.
In beiden Fällen wird heute unter Bezugnahme auf diese Vergangenheit ein Anspruch auf Eigenstaatlichkeit begründet, der nun demokratisch, als Ausdruck des Volkswillens, durch ein Referendum legitimiert werden soll. Hier Parallelen wie Unterschiede herauszuarbeiten, auch um damit die Legitimität oder überhaupt die Sinnhaftigkeit der Unabhängigkeitsforderung zu bewerten, lag gleichsam auf der Hand. Dies veranlasste Elliott, nach eigenem Eingeständnis bisher kein besonderer Kenner der schottischen Geschichte (VII), sich in dieses Gebiet einzuarbeiten und sich zugleich erneut der spezifischen katalanischen Geschichte zuzuwenden.
Seine Darstellung ist als eine Gegenüberstellung bestimmter signifikanter zeitlicher Abschnitte konzipiert und folgt insgesamt der Chronologie. So schließen sich dem ersten Kapitel über die Prozesse der jeweiligen "Unionsbildungen" vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (auf das Mittelalter wird nur kurz verwiesen) das versuchte Aufbäumen dagegen im 17. Jahrhundert in Form verschiedener Rebellionen und daraufhin die "Inkorporierungen" an: in Schottland durch eine freiwillige Einordnung in die "höhere Einheit" des Königreichs Großbritannien, in Katalonien dagegen durch einen Akt der Unterwerfung und der weitgehenden Aufhebung der traditionellen Rechte durch den bourbonischen Zentralismus. Wenn so auch die jeweilige Stellung in der neuen Ordnung sehr unterschiedlich war, erwies sich jedoch in beiden Fällen der Verlust der Eigenständigkeit - mit gewissen Nuancen - als vorteilhaft.
Das 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung einerseits und der Erfindung des Nationalismus andererseits brachte zwar die "Entdeckungen" eigener Identitäten und die Schaffung entsprechender Mythen. Doch waren - bei allen deutlichen Unterschieden - noch im wesentlichen Doppelidentitäten bestimmend. Das änderte sich erst mit dem 20. Jahrhundert, wenn auch zeitlich stark verschoben. Das Aufkommen breiterer katalanischer Eigenständigkeitsforderungen bis hin zur Unabhängigkeit setzte bereits sehr früh nach der Jahrhundertwende ein. In Schottland war das noch über lange Jahrzehnte eine Randforderung einiger Intellektueller. Dieser zeitliche Unterschied verdankte sich zweifellos der Einschätzung, inwieweit die jeweilige Union als vorteilhaft oder nicht angesehen werden konnte, was nicht zuletzt mit der imperialen Wirkung der beiden "Dachstaaten" verknüpft war.
Anhand einer breiten Forschungsliteratur stellt Elliott diese Entwicklung profund dar. Er zentriert sie auf das Verhältnis von Eigenstaatlichkeit und den Folgen bei beiden "Unionen" mit Schwerpunkt auf den Institutionen, den dadurch bedingten gesellschaftlichen Verhältnissen und den sich in dem Zusammenhang ergebenden politischen Mobilisierungen, aber auch daraus abgeleiteten kulturellen Fragen (z. B. nach der Sprache als Identitätsmarker). Es wird also keine allgemeine politische Geschichte dieser Gebiete geliefert. Leider werden jedoch die letztlich allen politischen Abläufen zugrundeliegenden ökonomischen Entwicklungen nur am Rande behandelt, obwohl sie eigentlich immer wieder der Kern sind, an denen "Gewinn- und Verlustrechnungen" aufzumachen wären, selbst wenn sie im Schatten kultureller Fragen stehen.
Angesichts des zur Verfügung stehenden Platzes für eine fünfhundertjährige Entwicklung zeichnet der Autor diese unvermeidlich in großen Strichen, wenn auch mit wichtigen Details angereichert. Man merkt, dass Elliotts wesentlicher Schwerpunkt in der frühen Neuzeit liegt, die einen vergleichsweise großen Umfang einnimmt. Besonders bei Katalonien ist das 20. Jahrhundert mit seinem Auf und Ab (etwa im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg) nur kompakt umrissen, bis dann der neuesten Entwicklung um das Unabhängigkeitsreferendum von 2017 wieder größerer Raum gegeben wird, während Schottland seit 1900 noch knapper skizziert wird, auch wenn selbstverständlich dem dortigen Referendum von 2014 der gebührende Platz eingeräumt wird.
In beiden Fällen ist Elliott kein Anhänger der Unabhängigkeit. Während aber Schottland aufgrund der britischen Verfassung sein Referendum legal durchführen konnte, war es in Katalonien aufgrund der spanischen Verfassung illegal. Elliotts Buch wurde deshalb in Spanien - außerhalb Kataloniens - bei den meinungsprägenden Medien und Intellektuellen und auch beim breiteren Publikum ein großer Erfolg, während es im englischsprachigen Raum doch eher nur eine begrenzte, vor allem akademische Leserschaft, erreichte. Allerdings hat er durchaus eine Warnung bereit, von der man nicht weiß, ob sie von allen, die das Buch positiv rezipieren, auch zur Kenntnis genommen wird: Man könne die Existenz solcher Unabhängigkeitsbewegungen nicht einfach nur auf missionarische Propaganda zurückführen. Unwissentlich hätten dem Fortschreiten der sezessionistischen Bewegung oft genug auch deren Gegner geholfen. Denn sie hätten Beschwerden, die für London oder Madrid nur als relativ unbedeutend angesehen wurden, oft nicht ernst genommen (272). Somit bleibt der weitere Verlauf für verschiedene Richtungen offen. Bei aller Kritik in Einzelpunkten, die angesichts der ausgebreiteten Stofffülle hier nicht ausgeführt werden kann, bleibt Elliotts Darstellung, selbst wenn man nicht alle Schlussfolgerungen teilt, ein Beitrag, der die historischen Wurzeln dieser beiden Territorialkonflikte ausleuchtet und sie durch den Vergleich deutlicher, als in einer Einzelfallstudie möglich, herausarbeitet.
Anmerkung:
[1] Zumeist in deutlicher Ablehnung der katalanischen Unabhängigkeitsforderung, etwa z. B. Henry Kamen: España y Cataluña. Historia de una pasión, Madrid 2014; Gabriel Tortella: Cataluña en España. Historia y mito, Madrid 2016 (auch in engl. Übersetzung).
Reiner Tosstorff