Antonia Bihlmayer: DDR-Sozialismus in der Karibik? Die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989 (= Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert; Bd. 9), Berlin: BeBra Verlag 2023, 400 S., ISBN 978-3-95410-299-0, EUR 30,00
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Die Geschichte der DDR-Außenpolitik ist inzwischen gut erforscht. Dennoch gibt es immer noch Lücken, die es wert sind, gefüllt zu werden - nicht aus Detailversessenheit, sondern wegen interessanter Konstellationen, die das Gesamtbild um wichtige Facetten ergänzen. Das trifft zweifellos auf die ostdeutsch-kubanischen Beziehungen zu, die Antonia Bihlmayer in ihrer Dissertation eingehend analysiert. Denn es handelte sich zwar um zwei mit der Sowjetunion verbundene, jedoch auf unterschiedliche Art und Weise entstandene realsozialistische Staaten, von denen Kuba ein weitgehend agrarisches Entwicklungsland, die DDR aber ein hochentwickeltes Industrieland war. Außerdem lagen sie in zwei geographisch weit voneinander entfernten Weltgegenden, begriffen sich aber beide als besonders vom 'Imperialismus' bedrohte 'Frontstaaten'.
Bihlmayer will zum einen klären, warum Kuba nicht nur für die Sowjetunion, sondern "auch für die Ostdeutschen ein politisch und wirtschaftlich wichtiger Knotenpunkt war", und zum anderen Erkenntnisse "über die Zusammenarbeit sozialistischer Länder untereinander" gewinnen (14). Die Arbeit beleuchtet die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen. Zwischenmenschliche Kontakte zwischen Kubanern und Ostdeutschen werden nur am Rande thematisiert, etwa im Zusammenhang mit DDR-Aufenthalten kubanischer Studenten und Vertragsarbeiter sowie mit ostdeutsch-kubanischen Eheschließungen. Die chronologisch aufgebaute Arbeit basiert im Wesentlichen auf Akten aus dem SED-Archiv oder aus dem DDR-Außenministerium sowie einigen bundesdeutschen Beständen; ergänzend konnte Bihlmayer eine Reihe von Dokumenten aus dem kubanischen Außenministerium einsehen. Auf eine Sichtung der Akten der DDR-Staatssicherheit hat sie leider verzichtet.
Da die Bundesrepublik bereits seit 1953 diplomatische Beziehungen zu Kuba unterhielt, musste die DDR den Sturz des Diktators Fulgencio Batista durch Fidel Castro 1959 abwarten, bis sie an diplomatische Beziehungen denken konnte. Doch anders als erwartet, blieb es zunächst bei Handelsbeziehungen: Die Hallstein-Doktrin und Castros Sorgen angesichts drohender westdeutscher Wirtschaftssanktionen verhinderten zunächst die Anerkennung der DDR. Diese war freilich auch von der Sowjetunion abhängig, die erst infolge der Kuba-Krise, im Oktober 1962, grünes Licht für die Aufnahme ostdeutsch-kubanischer Beziehungen gab, so dass im Januar 1963 Havanna Ost-Berlin anerkannte. Das zog den Abbruch der Beziehungen zu Bonn nach sich, dessen wirtschaftliche Attraktivität aber bestehen blieb. Eine genaue Analyse und Gewichtung der Faktoren, die zu diesem Ergebnis führten, fehlt leider in Bihlmayers Untersuchung.
Wenngleich es sich bei der DDR und Kuba um zwei sozialistische, von der Sowjetunion abhängige Staaten handelte, waren ihre Beziehungen zunächst alles andere als harmonisch. Das hing zum einen damit zusammen, dass in den 1960er Jahren die Sowjetunion und China miteinander um Einfluss auf der Insel rangen. Und Castro und Che Guevara waren in wichtigen ideologischen Fragen näher bei Peking als bei Moskau. Hier hätte man gern mehr erfahren: Wie stand es damals wirklich um das kubanisch-chinesische Verhältnis? Mit dem Rückzug Che Guevaras aus der kubanischen Tagespolitik 1965 nahm der chinesische Einfluss jedoch ab, und ein Jahr später wurden, zur Erleichterung Moskaus und Ost-Berlins, die diplomatischen Beziehungen zu Peking abgebrochen.
Zum anderen tanzte Castro nicht von Anfang an nach der Moskauer Pfeife, sondern verfolgte eine eigene Außen- und Innenpolitik. Außenpolitisch strebte er, wie die Drei-Kontinente-Konferenz mit Delegierten aus Afrika, Amerika und Asien im Januar 1966 in Havanna zeigte, in Konkurrenz zu Moskau die ideologische Führung über die linken Kräfte in der "Dritten Welt" an. Das kubanische innere System war stärker auf den "Comandante" Castro zugeschnitten und weniger eine realsozialistische Parteidiktatur nach sowjetischem Vorbild. Es war vor allem letzteres, was der DDR-Führung übel aufstieß und diese zu heftiger Kritik veranlasste. Bihlmayer zufolge strebte die DDR mit "zivilisatorische[m] Missionseifer" (136) danach, in Kuba einen am Moskauer Modell orientierten Staatsapparat unter Führung der kommunistischen Partei aufzubauen. Der Zivilisierungsanspruch habe sich auch auf eine "Ent-Barbarisierung" (359) der kubanischen Bevölkerung und der dortigen Partei bezogen, die disziplinierter und leistungsfähiger werden sollte. Allerdings prägte diese Konstellation vor allem die 1960er Jahre: Als Castro 1968 gegenüber Moskau wegen dessen Wirtschaftssanktionen einknickte, bewegten sich auch die DDR und Kuba wieder aufeinander zu. Es greift daher etwas zu kurz, wenn mit dem Titel der Studie suggeriert wird, die DDR sei vor allem darauf bedacht gewesen, ihr eigenes System auf Kuba zu übertragen.
Im Mittelpunkt der Beziehungen der beiden Staaten standen wirtschaftliche Fragen. Das Hauptproblem war die Abhängigkeit der kubanischen Wirtschaft vom Zuckerexport. Trotz einer indirekten Subvention der kubanischen Zuckerindustrie durch die Festsetzung hoher Abnehmerpreise von Seiten der Sowjetunion und der DDR gelang es kaum, die Wirtschaft auf der Karibikinsel zu diversifizieren, obwohl die DDR im Gegenzug dort Fabriken aufbaute und Maschinen lieferte. Hinzu kam, dass trotz interner Preisfestsetzungen Kuba vom Weltmarktpreis für Zucker abhängig blieb, was dazu führte, dass bei einem Preisverfall die Handelsbilanz auf kubanischer Seite ein Passivsaldo aufwies. Die kulturellen Beziehungen waren demgegenüber weniger wichtig. Hervorzuheben ist aber, dass sich Kuba durch weitgehende künstlerische Formfreiheit auszeichnete, die DDR hingegen hier sehr viel strikter war. Lediglich auf dem Gebiet der Bildung konnte die DDR in Kuba zwei Erfolge verbuchen - zum einen mit dem Siegeszug der ostdeutschen Mathematik-Didaktik bei der Lehrerbildung und zum anderen mit der Sexualerziehung durch Monika Krause und Siegfried Schnabel in den 1970er und 1980er Jahren.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre unterstützten die DDR und Kuba vermeintlich prokommunistische Kräfte in Angola, Äthiopien und Nicaragua mit militärischer und ziviler Hilfe. Dass beide Staaten durch ihr zunächst nicht mit Moskau abgestimmtes Vorgehen in den zwei afrikanischen Staaten dazu beitrugen, auch die Sowjetunion zu einem Engagement zu veranlassen, ist seit Längerem bekannt. Leider konnte Bihlmayer in den von ihr konsultierten Quellen nichts Genaueres zu ostdeutsch-kubanischen Absprachen in Afrika und Mittelamerika finden. Möglicherweise wäre dazu ein Blick in die Stasi-Akten hilfreich gewesen.
Die 1970er und 1980er Jahre bildeten eine Zeit, in der sich die Beziehungen beider Länder in ruhigem Fahrwasser bewegten und in der weitgehendes Einvernehmen zwischen deren Führungen herrschte, was durch den Staatsbesuch Castros 1972 in der DDR und den Honeckers 1974 in Kuba symbolisiert wurde. Nach dem Amtsantritt Gorbatschows 1985 zählten beide dann zu den Reformverweigerern in der sozialistischen Staatenwelt. Freilich bezeichnete Castro erst 1988 die Reformen im Ostblock offen als gefährlich für die amerikanischen Einflüssen ausgesetzte Karibikinsel. Ähnliches traf auf Honecker zu, dessen Regime sich aber schon 1987 offen von Gorbatschow distanzierte. Allerdings rückten die beiden erst Ende 1988 enger zusammen, Ansätze zu einem Zusammenschluss zeichneten sich erst kurz vor der friedlichen Revolution in der DDR ab.
Neben den bereits genannten Monita sticht bei der insgesamt sehr soliden Studie ins Auge, dass sie sich kaum mit den ostdeutschen Akteuren befasst, die sich Kuba widmeten. Auch über das persönliche Verhältnis zwischen Honecker und Castro findet sich nichts. Da die Akteure nicht in die Darstellung einbezogen werden, ist oftmals im Text pauschal vom "SED-Politbüro" die Rede, auch wenn in der Anmerkung eine MfAA-Akte genannt ist. Zweifellos waren die wesentlichen Entscheidungen auf das Politbüro oder auf Ulbricht bzw. Honecker persönlich zurückzuführen; aber auch die Personen auf den unteren Ebenen der Funktionärspyramide hätten als Kuba-Fachleute gewürdigt werden müssen.
Hermann Wentker