Rezension über:

Klaus Koschorke: Grundzüge der Außereuropäischen Christentumsgeschichte. Asien, Afrika und Lateinamerika 1450-2000 , Stuttgart: UTB 2022, XX + 361 S., ISBN 978-3-8252-5934-1, EUR 30,00
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Rezension von:
Michael Hochgeschwender
Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Michael Hochgeschwender: Rezension von: Klaus Koschorke: Grundzüge der Außereuropäischen Christentumsgeschichte. Asien, Afrika und Lateinamerika 1450-2000 , Stuttgart: UTB 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/37849.html


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Klaus Koschorke: Grundzüge der Außereuropäischen Christentumsgeschichte

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Trotz seines mit rund 360 Seiten eher schlanken Umfangs, stellt Klaus Koschorkes Monografie zur Christentumsgeschichte des globalen Südens in der Neuzeit eine ohne Zweifel monumentale und in mancherlei Hinsicht bahnbrechende Leistung dar. Ihm gelingt, erstmalig in dieser Form, eine Überblicksdarstellung, die hoffentlich endgültig mit der eurozentristischen Vorstellung aufräumt, das Christentum verdanke seine weltweite Ausbreitung vorrangig der Hegemonie Europas im Zeitalter von Kolonialismus und Imperialismus. Gerade aus dem von ihm gewählten chronologischen Blickwinkel einer longue durée über mehr als fünf Jahrhunderte kann er, ohne den Beitrag und die vielfach negativen Folgen der europäischen überseeischen Expansion zu vernachlässigen oder zu verniedlichen, auf authentische, indigene Varianten des Christentums gerade in Asien und Afrika aufmerksam machen. Man denke etwa an die Mission der ostsyrischen Kirche, der früheren Nestorianer, bis weit nach Indien und China hinein, die bereits in der Spätantike ihren Ausgang nahm, an die autochthonen christlichen Religionsgemeinschaften der Kopten in Ägypten oder der äthiopischen Kirche mit ihren judaisierenden, auf das Alte Testament verweisenden Zügen.

Aber auch nach Beginn des Kolonialismus verbreiteten sich die christlichen Lehren nicht allein unter dem Schutz der Waffen europäischer Großmächte. In Korea beispielsweise fand ab 1784 eine nur indirekt von den katholischen Jesuiten in China beeinflusste Selbstmissionierung konfuzianischer Gelehrter statt, die sich gerade nicht eurozentrisch erklären lässt. Ähnliches findet sich unter südindischen Perlenfischern, die als hinduistische Kaste geschlossen und ohne Mission aus dem portugiesischen Goa zum Christentum konvertierten. Auf diese Weise gelingt es Koschorke, ein polyzentrisches, nicht primär von europäischen konfessionellen Perspektiven geprägtes Bild christlichen Lebens im globalen Süden zu entwickeln, das mit vielen bislang vorherrschenden Vorstellungen und Vorurteilen aufräumt. Hier scheinen genuin asiatische, afrikanische, aber auch lateinamerikanische Spiritualitäten auf, deren Reichtum bislang nie wirklich erschlossen worden ist. Vor allem aber macht der Verfasser auf die Kontinuität globaler Kommunikationsnetzwerke seit dem Ausgang des Mittelalters aufmerksam, in denen der Jesuitenorden ebenso präsent war, wie die katholischen Dominikaner und Franziskaner, aber eben auch die freikirchlich-pietistischen Brüdergemeinen. Diese Kommunikationsnetzwerke wurden dann in der Zeit des Hochimperialismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert weiter ausgebaut und trugen maßgeblich dazu bei, einen christlichen Antikolonialismus in Indien oder Afrika zu befördern. Diese Form der Kolonialkritik war nicht notwendig gewalttätig, obwohl viele der späteren Anführer antikolonialer Befreiungsbewegungen ausgerechnet auf Missionsschulen, die doch theoretisch dem Systemerhalt dienen sollten, ausgebildet worden sind. Viel eher nahmen die indigenen christlichen Eliten die vollmundigen Partizipationsversprechen ihrer britischen oder französischen Kolonialherren ernst und forderten gerade ein, diese Verheißungen konkret umzusetzen. Dabei besannen sie sich, gerade im britischen Empire, auf die autochthonen christlichen Traditionen und revitalisierten in Uganda oder Südafrika spezifisch afrikanische Varianten der afrikanischen, äthiopischen Orthodoxie. In Asien wiederum wurde Japan nach dem Sieg über Russland 1904/05 für indische Christen zum Vorbild. Allein diese wenigen Beispiele belegen, wie interessant und bedeutsam die Christentumsgeschichte des globalen Südens für eine Zeitgeschichte ist, die sich nicht länger ausschließlich am nationalstaatlichen Rahmen der westeuropäischen Geschichte ausrichten kann. Dies gilt umso mehr, wenn man sich die weiterhin wachsende Bedeutung dieser indigenen Formen des Christentums zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor Augen führt. Heute ist das Christentum internationaler und vielfältiger und gerade im Süden vitaler als vielfach gedacht.

Darüber hinaus aber bietet das vorliegende Werk eine konzise Einführung in die Gesamtgeschichte des außereuropäischen Christentums, wobei der Autor die USA wohl wegen ihrer geistigen Nähe zu Europa weitgehend ausblendet, obwohl in der Gegenwart gerade US-amerikanische Varianten christlicher Frömmigkeit, man denke an die globale Pfingstbewegung, an den Evangelikalismus oder den gospel of prosperity, der sich aus dem Pfingstchristentum gebildet hat, in Lagos, Manila, Rio de Janeiro oder Seoul mindestens ebenso bedeutend sind wie in den USA, während sie in Europa ein eher randständiges Dasein führen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein aber bildete das europäische Christentum einen, aber eben nur einen perspektivischen Bezugspunkt für die religiöse Entwicklung im globalen Süden. Auch diese, oft von Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung charakterisierte Geschichte verschweigt Koschorke nicht, bettet sie aber umfassend in das lokale Geschehen vor Ort ein, was häufig zu überraschenden Erkenntnissen führt. So zum Beispiel lohnt sich ein Blick auf die durchaus radikalen und visionären kolonialkritischen Missionsbemühungen der Jesuiten, Dominikaner und Franziskaner in Südamerika, die vor den Zentralisierungsanstrengungen des Konzils von Trient im 16. Jahrhundert dabei waren, ein indigenes, katholisches Christentum zu bilden, das sich als kritisches Gegengewicht zum allzu siedlerfreundlichen spanischen oder portugiesischen Weltklerus verstand. Oder man denke an die Kritik des römischen Papsttums am internationalen Sklavenhandel seit 1537, vor allem aber seit den 1680er Jahren. Um 1700 erlahmte dann die spirituelle Kraft dieses katholischen Missionschristentums, während im 18. und frühen 19. Jahrhundert es dann protestantische Missionsgesellschaften waren, welche die Fackel der Kolonialkritik, wenngleich unter den Bedingungen intensivierter Kolonialisierung weiterreichten. Hier sei nur an die Rolle evangelikaler Religionsgemeinschaften in Großbritannien und den USA beim Kampf gegen die Kongogräuel unter dem belgischen König Leopold II. erinnert.

Es ist gerade dieser pointiert ökumenische, konfessionsübergreifende Blick, der Koschorkes Buch so unbedingt lesenswert macht. Ihm geht es nicht um bloße Apologetik, sondern um sachliche, präzise Informationen, die für eine dezidierte Urteilsbildung unabdingbar sind. Dank dieser Sachlichkeit und dank des umfassenden Blicks ist ihm eine ungemein informative, sehr gut lesbare und hervorragend strukturierte Darstellung gelungen, die durch das beigefügte reiche Bildmaterial bestens ergänzt wird.

Michael Hochgeschwender