Rezension über:

Rainer Hank / Hartmut Leppin / Werner Plumpe (Hgg.): »Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren«. Piratengeschichten auf den Meeren der Welt, Frankfurt/M.: Campus 2023, 264 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-51706-3, EUR 36,00
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Rezension von:
Tanja Zakrzewski
Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Tanja Zakrzewski : Rezension von: Rainer Hank / Hartmut Leppin / Werner Plumpe (Hgg.): »Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren«. Piratengeschichten auf den Meeren der Welt, Frankfurt/M.: Campus 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/38566.html


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Rainer Hank / Hartmut Leppin / Werner Plumpe (Hgg.): »Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren«

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Der Sammelband geht auf eine Tagung "Piraterie und die Ökonomie des Meeres" zurück. Obwohl die wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Perspektive auch im vorliegenden Tagungsband deutlich erkennbar bleibt, wurde das Feld für Impulse aus anderen Disziplinen und Fachrichtungen geöffnet.

Der Sammelband ist übersichtlich in die Themenkomplexe "Geschichten aus der Geschichte", "Narrative aus der Nautik" und "Konstruktionen aus der Kunst" unterteilt, die fünf beziehungsweise vier Beiträge enthalten. Den Herausgebern ist es gelungen, das Phänomen der Piraterie von Autor*innen verschiedener Disziplinen und Forschungsschwerpunkte bearbeiten zu lassen; Historiker*innen, Literaturwissenschaftler und Soziologen beleuchten das Phänomen aus verschiedenen Perspektiven, wobei festzustellen ist, dass die Geschichtswissenschaft deutlich die methodische Oberhand behält.

In der Einleitung distanziert sich Mitherausgeber Rainer Hank in journalistischem Jargon von gängigen wissenschaftlichen Positionen. Dabei werden Konzepte wie Kommunismus, Anarchismus und Egalité anachronistisch und undifferenziert auf das Phänomen der Piraterie übertragen. Zudem wundere er sich, "dass Indianer und Cowboys seit geraumer Zeit dem postkolonialen Bann unterliegen und Kindern die entsprechende Verkleidung an Karneval untersagt ist. Piraten dagegen sind [...] vom Bann verschont geblieben [...]." (17) Piraten seien nicht nur in koloniale Strukturen verstrickt gewesen, eine Tatsache, die in der Geschichtswissenschaft als Konsens gilt, sondern hätten den Sklavenhandel nicht nur ermöglicht, sondern gar über Jahrzehnte am Leben erhalten (17). Weitere Verweise auf moderne Fälle von maritimer Gewalt lassen keinen Zweifel daran, dass Piraten generell nur als Verbrecher auf See betrachtet werden sollen.

Ton und Stoßrichtung der Einleitung ziehen sich erfreulicherweise nicht durch die wissenschaftlichen Beiträge des Sammelbandes. Dort wird der Ambivalenz von Piraterie, die sich seit der Antike zwischen Legalität und Illegalität, zwischen Abenteuerlust und (ökonomischer) Notwendigkeit bewegte, Rechnung getragen. Daphne Penna zeichnet am Beispiel des byzantinischen Reichs eindrucksvoll nach, vor welche Probleme das Rechtssystem durch Piraten gestellt wurde. Michael Kemp und Georg Christ nehmen sich des komplexen Problems der Eigen- und Fremdzuschreibung an und stellen auf unterschiedliche Weise fest, dass 'der Pirat' als solcher eine Konstruktion ist, die wiederum moralische und juristische Wertungen nach sich zog. Eine Mehrzahl der Beiträge nähert sich Piraterie als einem Phänomen der Wirtschaft. Unabhängig von der Frage der Legalität, die an anderer Stelle bearbeitet wurde, waren Piraten in die Handelsnetzwerke ihrer Zeit und Region eingebunden. Dieses Themenfeld kommt in historiographischen Analysen, die sich ausschließlich mit sozialen und politischen Themen beschäftigen, häufig zu kurz. Hier füllt der Sammelband also eine Forschungslücke, die in diesem Format natürlich nicht geschlossen werden kann. Fernab ethischer und juristischer Überlegungen beleuchtet Werner Plumpe Seeraub als eine Form des Handels und des Warenverkehrs und fragt nach den technischen und logistischen Aspekten. Eva-Maria Roelevink überlegt darüber hinaus, ob wir nicht sogar von Piraten als Proto-Unternehmern sprechen können. Ihre Erörterungen sind umso beeindruckender, als es kaum Quellen gibt, in denen Piraten als Handeltreibende und Akteure in Handelsnetzwerken erscheinen.

Im dritten und letzten Teil des Bandes werden Piraten als Gegenstand in Kunst und Literatur untersucht. Obwohl an der allgemeinen Beliebtheit des Piraten als Kunstfigur und Projektionsfläche kein Zweifel gelassen wird, greifen die Beiträge des dritten Teils keine modernen künstlerischen Interpretationen auf, sondern beschränken sich auf die Klassiker: Shakespeare, Schiller und Balzac. Im abschließenden Beitrag greift Karin Wieland eine interessante und unerwartete Verbindung auf und geht der Frage nach, warum Mussolini von der revolutionären Tatkraft der Piraten beeindruckt war und wie er sich dieses Bild zunutze machte. So schafft sie es mit ihrem Beitrag den Sammelband würdig abzuschließen.

Piraterie, ob als soziales, rechtliches oder militärisches Phänomen und Problem, erfreut sich sowohl in der Wissenschaft als auch der Kunst großer Beliebtheit. Der Sammelband reiht sich ohne große methodische Ausreißer in die wissenschaftliche Debatte ein und spiegelt den Status quo wider. Die Autorinnen und Autoren tun dies jedoch in einer Art und Weise, die das Thema nicht nur für Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen und Fachrichtungen aufbereitet, sondern darüber hinaus - und das ist die große Leistung des Sammelbandes - für ein nichtwissenschaftliches Publikum zugänglich macht. Laien und jene, die sich gerade erst dem Thema Piraterie annähern, sei es als Studierende oder Forschende mit vormals anderem Schwerpunkt, werden von den übersichtlichen Beiträgen profitieren.

Tanja Zakrzewski