Rezension über:

Nathalie Bonvalot / Romain Joulia / Gérard Moyse et al.: L'abbaye de Bellevaux. Neuvième centenaire 1119-2019. Fondation et rayonnement d'une abbaye cistercienne. Volume I et II (= Collection Annales littéraires. Série Architecture; No. 1034), Besançon: Presses Universitaires de Franche-Comté 2022, 794 S., ISBN 978-2-84867-920-4, EUR 70,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Nathalie Bonvalot / Romain Joulia / Gérard Moyse et al.: L'abbaye de Bellevaux. Neuvième centenaire 1119-2019. Fondation et rayonnement d'une abbaye cistercienne. Volume I et II, Besançon: Presses Universitaires de Franche-Comté 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/38738.html


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Nathalie Bonvalot / Romain Joulia / Gérard Moyse et al.: L'abbaye de Bellevaux. Neuvième centenaire 1119-2019

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Die rund 30 Kilometer südlich von Vesoul gelegene Zisterzienserabtei Bellevaux (Bella Vallis) gehört zu den weniger bekannten Klöstern des Ordens. Von der Forschung wurde Bellevaux nicht zuletzt deshalb vergleichsweise stiefmütterlich behandelt, weil von den Gebäuden selbst kaum etwas die Zeitläufte überdauert hat. 1119 als erstes Tochterkloster der Primarabtei Morimond gegründet, durchlief Bellevaux Phasen von Prosperität und Niedergang. Den Todesstoß versetzte die Französische Revolution. Das Kloster wurde 1790 aufgelöst, Mobiliar und Gebäude gelangten ein Jahr später zur Versteigerung, Kirche und große Teile der Konventsgebäude wurden zerstört. Das, was übrigblieb, trug den hochtrabenden Namen "Château" und wanderte durch sehr viele unterschiedliche Hände. Seit 1994 befindet sich die Anlage in Privatbesitz.

Anlässlich der 900-Jahr-Feier der Abtei fand im Mai 2019 in Vesoul eine Tagung statt, deren Vorträge nun in gedruckter Form vorliegen. Zu diesem 16 Aufsätze umfassenden Tagungsband gesellt sich ein weiterer, von dem die Zisterzienserforschung zukünftig in ganz besonderem Maße profitieren dürfte, handelt es sich dabei doch um die Edition aller zwischen 1119 und 1220 überlieferten und in zwei Chartularen enthaltenen rund 300 Urkunden des Klosters. Abgerundet wird das Ganze durch die Edition eines Besitzverzeichnisses (Censier) vom Beginn des 14. Jahrhunderts. Heute wird das Quellenmaterial in den Archives départementales de la Haute-Saône verwahrt - und Yves Krattinger bemerkt in seinem Vorwort zu Recht, dass es sich dabei um einen "fonds d'une ampleur et d'une préciosité tout à fait exceptionnelles" (15) handelt.

Der Schwerpunkt der Aufsatzsammlung liegt zwar auf dem Mittelalter, doch auch weitere Schlüsselperioden im 13./14. bzw. im 17. Jahrhundert geraten in den Blick und lassen die Publikation so zu einer Summe all dessen werden, was derzeit über Bellevaux bekannt ist. Seine Gründung erfolgte zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nur zwei Jahre nach der Entstehung des Mutterklosters von Morimond. Und Bellevaux selbst war außerordentlich erfolgreich darin, weitere Tochtergründungen vorzunehmen.

Den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten der Klostergründung wird in fünf Beiträgen nachgespürt. Weitere Aufsätze befassen sich (in der longue durée) mit der Infrastruktur (hier vor allem der Wasserversorgung) und der Architektur von Bellevaux, wobei Felix Ackermann überzeugend darlegt, dass es insbesondere mit Blick auf die verlorene Klosterkirche weiterer archäologischer Untersuchungen bedarf, um zu abschließenden bauhistorischen Ergebnissen zu kommen. Das, was aus der Klosterkirche nach der Auflösung in Pfarrkirchen der Nachbarschaft wanderte, vermittelt immerhin einen Eindruck von der Ausstattung des Sakralraums mit Altären, Gemälden, Chorstallen und Reliquiaren. Auf die Nachnutzung des Baukomplexes durch unterschiedliche Besitzer geht Pascal Brunet ein - und man ist erstaunt über das zurückhaltende Engagement des Denkmalschutzes noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die verbliebenen Konventsgebäude als kirchliches Erholungsheim dienten und tiefgreifende, irreversible Eingriffe in die Substanz zu gewärtigen hatten.

René Locatelli bettet die Gründung von Bellevaux in den historischen Rahmen ein und verdeutlicht, dass 1119 mit Kalixt II. nicht nur ein aus der Freigrafschaft Burgund stammender Papst gewählt wurde, sondern in diesem Jahr die "foudroyante expansion cistercienne en Occident" (25) begann. Ergänzend hierzu sind die Bemerkungen von Hubert Flammarion über Morimond und seine Tochtergründungen in der Freigrafschaft im 12. und 13. Jahrhundert und diejenigen Ernst Tremps über Bellevauxs Töchter Lucelle (Lützel) und Montheron im selben Zeitraum zu verstehen. Auf die Entstehungsumstände von Bellevaux geht konkret Nicole Brocard ein. Sie stützt sich auf die statistische Auswertung der 308 edierten Urkunden aus dem ersten Jahrhundert der Existenz und verweist dabei bereits auf die Rolle der "Wohltäter", von den Erzbischöfen von Besançon über das Kathedralkapitel bis hin zu den Laien.

Der Aufstieg von Bellevaux wurde nicht nur durch direkte massive finanzielle Zuwendungen der Wohltäter befördert, sondern beruhte auch auf der Präsenz eines heiligen Leibs von Format. Pierre de Tarentaise, seit 1132 erster Abt von Tamié, ab 1141 Erzbischof von Tarentaise starb 1174 in Bellevaux und wurde (gegen den Willen der Gemeinschaft von Tamié) im Kloster begraben. Die Kanonisation dieses Reformprälaten erfolgte wenig später 1191 - und interessant ist es zu sehen, wie immer wieder versucht wurde, kostenintensive Restaurierungs- bzw. Neubauprojekte aus den Erträgen zu finanzieren, die die Pilger am Grab des Heiligen generierten. Auch die Präsenz weiterer Grablegen war für die Klosterökonomie von Bedeutung. Benoît Chauvin demonstriert dies anhand eines Streits zwischen den Abteien von Bellevaux und La Charité um die letzte Ruhestätte des Ponce de la Roche (1203), immerhin Vertreter desjenigen Adelsgeschlechts, mit dessen Hilfe Bellevaux überhaupt erst gegründet werden konnte. Welche Rolle adlige Frauen bei der weiteren Entwicklung des Klosters spielen konnten, demonstriert Laurence Delobette am Beispiel der Dames de la Roche-sur-l'Ognon.

Die Besitzungen von Bellevaux (insbesondere in Gestalt von Grangien) waren umfangreich. Auf Fragen der wirtschaftlichen Organisation geht Nathalie Bonvalot ein. Sie kann mit Blick auf die mittelalterliche Entwicklung zeigen, dass der Grundbesitz derart ausdifferenziert war, dass all das, was das Kloster an Dingen des täglichen Bedarfs benötigte, zum Großteil selbst produziert werden konnte. Dass diese Besitzungen fast durchgehend Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen (mit Laien) waren, kann kaum erstaunen. Paul Delsalle weitet den Blick hin auf das 16. und 17. Jahrhundert und nimmt die Bewirtschaftung der Grangien zu einer Zeit in den Blick, als die Mönche von Bellevaux aus den dort erzielten Erträgen nicht nur Naturalien (interessant sind die konkreten verausgabten Mengen an Öl, Fleisch, Butter oder Wein), sondern auch (monetäre) Pfründen erhielten. Angélique Henriot-Boillot verdanken wir die am Ende des Bandes abgedruckten Transkriptionen dreier Visitationsprotokolle aus den Jahren 1584, 1616 und 1632.

Die im zweiten Band enthaltene Urkundenedition (35-344), die sich der Arbeit von Gérard Moyse und René Locatelli verdankt, umfasst insgesamt 308 Stücke. Die unvollständig überlieferte, alphabetisch nach Orten gegliederte Besitzaufstellung (censier) (347-369) erlaubt einen Einblick in die "consistance du temporel et du rayonnement de l'abbaye deux siècles après sa fondation." (345) Als ausgesprochen nützlich erweist sich die französische Übersetzung des lateinischen Originals, die zwar mitunter mit Fragezeichen versehen wird (auch Übersetzer zweifeln!), aber doch immer zuverlässig den Verständnisweg weist.

Summa summarum: die beiden der Zisterzienserabtei Bellevaux gewidmeten Bände geben einen zuverlässigen Überblick über die Geschichte der Abtei von ihrer Gründung 1119 bis zur Auflösung 1790 (und darüber hinaus) - ein Überblick, der aus den Quellen, vor allem denjenigen der ersten beiden Jahrhunderte, schöpft. Diese Quellen lenken das Erkenntnisinteresse, anders ausgedrückt: man erfährt sehr viel über die Klosterökonomie, fragt sich aber, wie es um die kulturell-intellektuelle Ausstrahlung des Klosters bestellt war. Mögen die Forschungen weitergehen.

Ralf Lützelschwab