Damian A. Pargas / Juliane Schiel (eds.): The Palgrave Handbook of Global Slavery throughout History, Cham: Palgrave Macmillan 2023, xxiii + 716 S., ISBN 978-3-031-13259-9, EUR 53,49
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Zwei renommierte Forscher*innen haben hier ein sehr gut durchdachtes Handbuch zur globalen Sklaverei vorgelegt. Damian A. Pargas, der zurzeit als Professor für Nordamerikanische Geschichte und Kultur an der Universität Leiden und Direktor des Roosevelt Institute for American Studies in Middelburg arbeitet, beschäftigt sich vor allem mit Formen der amerikanischen Sklaverei, der damit verbundenen Migrationsbewegungen und dem sozialen familiären Umfeld von Sklav*innen. Darüber hinaus hat er die Leiden Slavery Studies Association und das Journal of Global Slavery gegründet und vor einigen Jahren zusammen mit seiner Leidener Kollegin Felicia Roşu eine nützliche Sammlung zentraler Aufsätze der Sklavereiforschung herausgegeben. [1] Juliane Schiel, deren Interessen die Sklaverei im Mittelmeerraum der Vormoderne und soziale Abhängigkeiten im vorindustriellen Europa umfasst, hat an der Universität Wien eine Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit inne. Von 2019 bis 2024 leitete sie das EU-Projekt COST Action CA18205 "Worlds of Related Coercions in Work" (WORCK).
In seiner knappen Einführung betont Pargas zunächst, dass das weltumfassende Phänomen der Sklaverei Gesellschaften auf der Basis von durch Zwang verursachten Migrationen, Raubzügen und Kriegen, Menschenhandel, Kommunikationswegen und wirtschaftlicher Expansion, kurz: durch die Bewegung von Ideen, Menschen und Gütern, direkt und indirekt miteinander verbunden hat. Die Beiträge des Handbuches sollten in diesem Kontext, so Pargas, vor dem Hintergrund dreier wichtiger jüngerer Forschungstrends gelesen werden: Zum einen müsse man Sklaverei als extreme Form eines weiten Spektrums starker asymmetrischer Abhängigkeiten ansehen. Ferner gelte es, Sklavereipraktiken nicht mehr allein über den Begriff der "unfreien Arbeit" zu definieren, sondern die verschiedenen Zwecke und Funktionen der Sklaverei in ihren unterschiedlichen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu betrachten. Auf diese Weise sei es möglich, Sklaverei mit anderen Arten von Zwangsarbeit, wie etwa Schuld- und Vertragsknechtschaft, Prostitution, Leibeigenschaft oder die Ausbeutung von Lohnempfänger*innen in industriellen und postindustriellen Gesellschaften, zu verknüpfen. Schließlich müsse auch der Freiheitsbegriff überdacht und historisiert werden. Nicht-Sklaverei sei eben nicht gleich Freiheit. Zum einen gäbe es einen fließenden Übergang zwischen verschiedenen Bedingungen der Unfreiheit, zum anderen sollte sehr genau beobachten werden, wie groß sich der Handlungsspielraum von Personen nach ihrer Freilassung darstellt.
Das Handbuch ist durchweg chronologisch angelegt und gliedert sich in fünf (letzten Endes sehr eurozentrische) Epochen: 1. Ancient Societies (to 500 C.E.), 2. Medieval Societies (500-1500); 3. Early Modern Societies (1500-1800); 4. Modern Societies (1800-1900); 5. Contemporary Societies (1900-present).
Jedem Teil ist eine Einführung vorangestellt, die meines Erachtens etwas umfangreicher hätte ausfallen können. Wenn man schon dieser allzu etablierten Periodisierung folgt, wäre hier der Ort gewesen, über die Sinnhaftigkeit, etwaige Spezifika, Brüche oder zumindest über die eingangs erwähnten Mobilitäten zu sprechen. Es folgen dann jeweils die Fallstudien, wobei die beiden Herausgeber*innen darauf geachtet haben, regional möglichst breit zu streuen. Für die insgesamt 32 Beiträge [2] ist es ihnen gelungen, durchweg ausgewiesene Spezialist*innen zu gewinnen. Alle Autor*innen hatten für die Abfassung ihrer Texte eine Reihe von Vorgaben: es sollte sich um einführende, nur mit wenigen Anmerkungen versehene Übersichtsartikel handeln, die einer interessierten akademischen Leserschaft auf einer Länge von ca. 20 Druckseiten die spezifische(n) Ausprägung(en) von Sklaverei in einer konkreten historischen Situation vorstellen. Am Ende jedes Beitrages finden sich zudem Lektüreempfehlungen. Um die Vergleichbarkeit zu erhöhen, mussten alle Artikel einem von Marcel van der Linden am Beispiel der Zwangsarbeit entwickelten Gliederungsmodell folgen: [3] Zunächst sollten die Kolleg*innen bei ihren Ausführungen dem Eintritt in die Sklaverei ihr besonderes Augenmerk schenken. Einen etwas breiteren Raum könne danach der eigentliche "Ausbeutungsprozess" einnehmen, bevor schließlich der (mögliche) Austritt aus dem Zwangssystem zu skizzieren sei. Obgleich ich zu Beginn meiner Lektüre ein wenig skeptisch ob dieser engen Führung der Autor*innen war, denke ich nun, dass sich der Band insgesamt tatsächlich besser liest und die einzelnen Beiträge über die vorgegebene Struktur gewinnbringend zueinander in Bezug gesetzt werden können. Dies unterscheidet das Werk auch wesentlich von den vier Bänden der Cambridge World History of Slavery.
Interessanterweise finden sich in dem Handbuch nur vier (gewichtige) Texte zur transatlantischen Sklaverei [4], aber sieben - ebenfalls sehr interessante - Untersuchungen zu Formen der Sklaverei in islamisch geprägten Regionen. [5] Es ist ferner sehr erfreulich zu sehen, dass die Sklavereiforschung mittlerweile nicht nur die üblichen Verdächtigen der westlichen Hemisphäre, sondern auch andere Regionen, insbesondere die Welt des Indischen Ozeans, aber auch Ostasien und Afrika, auf hohem Niveau behandelt. [6] Ebenso bemerkenswert finde ich die in dem Handbuch stillschweigend angenommene Fortführung sklavereiähnlicher Formen starker asymmetrischer Abhängigkeiten nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert. [7] Hier hätte man sich allerdings ein paar theoretische und methodische Überlegungen über derartige Transformationen gewünscht.
Am Ende eines jeden Kapitels findet sich ein kurzer Beitrag, der ein übergreifendes Thema oder eine übergeordnete Frage erörtert ("injections"). Hier werden entweder Verbindungen zwischen Sklavereipraktiken in verschiedenen Kontexten beleuchtet oder gezeigt, wie Wissenschaftler*innen - etwa aus der Archäologie - die Untersuchung der Sklaverei methodisch angehen. [8] Ruth Mazo Karras beschreibt etwa die mit der Sklaverei häufig verbundene sexuelle Ausbeutung aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive, wohingegen Klaus Weber am Beispiel von Zucker, Metallprodukten und Textilien die miteinander verwobenen globalen Warenketten des transatlantischen Dreieckshandels in der Frühen Neuzeit verfolgt. William Mulligan skizziert dann in seiner injectiondie Entwicklung der überregional vernetzten Abolitionismusströmungen im 19. Jahrhundert, woran Joel Quirk mit einer Darstellung der Antisklaverei- und Menschenrechtsbewegungen im 20. Jahrhundert anknüpft. Diese Synthesen diskutieren spannende Themen und lockern die bloße Abfolge von Fallbeispielen wohltuend auf.
Alles in allem überzeugt das Palgrave Handbook of Global Slavery throughout History, indem es verschiedene disziplinäre Stränge der Sklavereiforschung zusammenführt und den Leser / die Leserin über seine einheitliche Struktur ermutigt, Verbindungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Sklaverei im Laufe der Geschichte zu entdecken.
Anmerkungen:
[1] Damian A. Pargas / Felicia Roşu (eds.): Critical Readings on Global Slavery. 4 vol., Leiden / Boston 2018.
[2] Vier in Kapitel 1, fünf in Kapitel 2, zehn in Kapitel 3, sieben in Kapitel 4 und sechs in Kapitel 5.
[3] Marcel van der Linden: Dissecting Coerced Labor, in: On Coerced Labor: Work and Compulsion after Chattel Slavery, ed. by Marcel van der Linden / Magaly Rodríguez, Leiden 2016, 291-322.
[4] Michael Zeuske zu "The Rise of Atlantic Slavery in the Americas" und "The Second Slavery in the Americas", Trevor Burnard zu "Plantation Slavery in the British Caribbean", Damian A. Pargas zu "Slavery in the US South" und Catherine Armstrong zu "American Slaveries Since Emancipation".
[5] "Slavery in Medieval Arabia" (Magdalena Moorthy Kloss); "Slavery in the Black Sea Region" (Hannah Barker); "Slavery in the Ottoman Empire" (Hayri Gökşin Özkoray); "Slavery in the Middle East and North Africa" (Ismael M. Montana); "Slavery in Islamic West Africa" (Jennifer Lofkrantz); "Urban East African Slavery" (Michelle Liebst) und "Slavery in South Asia" (Emma Kalb).
[6] "Slavery and Serfdom in Muscovy and the Russian Empire" (Hans-Heinrich Nolte und Elena Smolarz); "Slavery in Late Ming China" (Claude Chevaleyre); "Slavery in Chosŏn Korea" (Sun Joo Kim); "Slavery in the Indian Ocean World" (Titas Chakraborty); "Maritime Passages in the Indian Ocean Slave Trade" (Pedro Machado)
[7] Im Abschnitt über das 20. Jahrhundert finden sich zum Beispiel Beiträge zur "Sklavenarbeit" im nationalsozialistischen Deutschland (Marc Buggeln) und in den Lagern der Sowjetzeit (Felicitas Fischer von Weikersthal) sowie zu ähnlichen Phänomenen starker asymmetrischer Abhängigkeit in Nordkorea (Remco E. Breuker) oder überhaupt in globalen ökonomischen Zusammenhängen (Bruna Lama).
[8] Cathrine M. Cameron zu "An Archaeological Approach to Slavery".
Stephan Conermann